Mely Kiyak kennen wir aus Kolumnen bei der Zeit und ihrem Engagement am Maxim Gorki Theater Berlin. Jetzt tritt sie mit einem Essay in die Öffentlichkeit, in dem sie mit autobiographischen und fiktionalen Elementen nicht nur ihre Entwicklung zum Frausein, sondern vor allem ihr Erwachsenwerden und ihr Zu-Sich-Selbst-Werden beschreibt.
Der Titel “Frausein” lässt auf eine Auseinandersetzung Mely Kiyaks mit ihrer Identität als Frau schließen. Doch das Buch behandelt wesentlich mehr als das: Herkunft, Erwartungen, das Schreiben, das Alleinsein – in all diesen Bereichen lernen wir die Autorin kennen, spüren ihren Charakter in jeder Zeile.
In einem Interview mit Spiegel Online, in dem Kiyak als „Tochter kurdischer Eltern“ angesprochen wird, antwortet sie: „Ich für mich bin zuerst einmal eine erwachsene Frau und nicht das Kind von jemandem. Ich bin Mely Kiyak – Autorin.” Dass sie mit jeder Zelle Autorin ist, zeigt sich nicht nur in den einzigartigen Formulierungen und Beschreibungen, die sie in ihrem Buch prägt , sondern auch in dem Anspruch, den sie darin an sich selbst hat : „Wenn mich jemand fragte, was machst du, wollte ich antworten: Ich schreibe.“
Das Ziel Schriftstellerei war für Mely Kiyak dabei keinesfalls selbstverständlich, vielmehr schien es lang unerreichbar: „Da wo ich her kam, ging man automatisch davon aus, dass die Verheißungen des Lebens für die Anderen bestimmt waren. Verzicht war Normalzustand.“
Träume schienen für Andere vorbestimmt zu sein, so wurde es von der Gesellschaft signalisiert. Aus dem Elternhaus entsprang der Wunsch, die Tochter möge möglichst erfolgreich sein – es einmal besser haben, als die Gastarbeiter*innen-Generation. Dieser Druck, die Migrationserfahrungen der Eltern und das damit verbundene Leid der Entwurzelung durch Erfolg wettmachen zu sollen, beschreibt Mely Kiyak als einnehmendes Generationenthema: „Unser Erfolg wurde sichtbar über die unsichtbaren Wunden der Elterngeneration gelegt.“, schreibt Kiyak.
Die Stereotype, die ihr aufgrund ihrer Herkunft entgegengebracht werden, die Entfremdung und Außenseiterposition, der sie im Studium begegnete, sind in Kiyaks Erzählungen spürbar. Mely Kiyak will eine andere Form des Schreibens und Sprechens finden als es die Mehrheitsgesellschaft von ihr zu erwarten scheint: „Man soll immerzu erklären. Man will aber lieber erzählen.“
All diese Erfahrungen verknüpft Mely Kiyak immer wieder mit den Themen Geschlecht und Sexualität und dem „Frausein“ an sich. So beobachtet sie, wie für Mutter und Vater, für Cousins und Cousinen unterschiedliche Welten zu existieren und Regeln zu gelten scheinen: „Die Trauer der Mutter um ihre tote Mutter war ein Staatsakt. Die Trauer des Vaters über seinen toten Vater blieb privat.“
Wie sollte es da auch anders sein, stellen sich auch bei der Autorin die Fragen nach der Liebe. „Die Mutter sagt: Die Liebe macht aus einer starken Frau eine schwache Frau. Der Vater sagt: Die Liebe macht aus einem schwachen Mann einen starken Mann.“ – So hat Mely Kiyak es von ihren Eltern mit auf den Weg bekommen. Auch sie selbst begegnet der Liebe in ihren unterschiedlichen Formen und formuliert doch am Ende für sich vor allem die Liebe zum Alleinsein – und damit auch die Liebe zu sich selbst und die Loslösung von gesellschaftlichen Kategorien.
Text: Marlene Resch
Bild: Carl Hanser Verlag