Die Sounds, die Städte ausmachen, haben die Kunst-Organsiation „fünfter Löffel“ schon vor dem Lockdown interessiert. Wie viel ohne diese Geräusche fehlt und woran man merkt, ob eine Stadt noch lebt, erzählen Elif Yıldırım und Canberk Akçal im Interview. Ihre Ausstellung „Bringing the Noise Back“ eröffnet am 01.07.2021 im ORi Berlin.
Maviblau: Wer ist „fünfter Löffel“?
Canberk: Wir sind eine Kunstinitiative zwischen Istanbul und Berlin. Wir machen „on the move“-Shows in beiden Städten an topografisch interessanten Orten. Wir suchen Ausstellungsräume, die auch den Rhythmus der Städte widerspiegeln und beleben sie mit unseren Kunstwerken neu. Dabei ist uns wichtig, dass die Locations eine einzigartige Atmosphäre haben, die wir in unsere Projekte einbinden können. Krankenhaus-Flair mit ein paar Kunstwerken an weißen Wänden ist nichts für uns. Neben fotografischen Arbeiten zeigen wir auch Kurzfilme von Filmemachern aus der ganzen Welt – wir mögen die Verbindung der beiden Disziplinen.
Elif: Unsere Ausstellungsräume können Bars, Projekträume oder alte Galerien sein. Deren besondere Gegebenheiten nehmen wir auf und werden Teil davon. Wir kuratieren nicht nur die Kunstwerke, sondern denken auch die jeweilige Location und die Erfahrung unserer Gäste dort mit.
Und was hat es mit dem Namen auf sich?
Elif: Der Name, ja… (lacht) Wir wollten einen deutschen Namen für das Projekt, der auch auf Türkisch interessant klingt. Im Türkischen gibt es „ö“ und „ü“ ja auch und das türkische Publikum findet den Sound von „fünfter Löffel“ einfach spannend, weil sie diese beiden Buchstaben im Deutschen nicht erwarten. Wir leben beide zwischen Istanbul und Berlin und „fünf“ kam von mir, „Löffel“ von Canberk – „fünfter Löffel“.
Canberk: Das Publikum fragt oft nach dem Namen und wenn sie dann erfahren, was er bedeutet, sind sie ein bisschen geschockt, aber auch amüsiert. Wir möchten keine abgehobenen Kunstprojekte machen, bei denen sich die Leute nicht trauen, ihre Meinung zu sagen, sondern wollen eine freundliche Umgebung schaffen, in der man einfach miteinander in Kontakt treten kann. Mit dem – ein bisschen albernen – Namen versuchen wir, die oft strenge Kunst-Atmosphäre ein wenig aufzubrechen. Bisher sind die Reaktionen darauf sehr gut.
Welche Projekte habt ihr als Initiative vorher gemacht?
Canberk: Bisher haben wir zwei Ausstellungen in Istanbul durchgeführt und wollten „Bringing the Noise Back“ eigentlich schon im März nach Berlin bringen, aber wir wissen ja alle, was dann passiert ist. Die vorherigen Projekte in Istanbul haben uns geholfen, unsere Konzepte zu schärfen und mehr über die Kunstszene dort zu erfahren. Wir leben beide seit ein paar Jahren in Deutschland und Istanbul verändert sich so schnell.
Worum geht es in „Bringing the Noise Back“?
Canberk: Die Motivation zu der Ausstellung kommt aus den Erfahrungen, die wir in der Lockdown-Zeit gemacht haben, aber ich definiere sie nicht als „Corona-Ausstellung“ – man wird dort keine Masken und keine Corona-News sehen. Manche Arbeiten sind sehr davon beeinflusst, dass wir alle zu Hause festsaßen, die Straßen als „gefährlich“ betrachteten und den Rhythmus der Stadt nicht mehr finden konnten. Eine der Sachen, die uns in dieser Zeit sehr gefehlt haben, waren Geräusche. Geräusche sind etwas sehr natürliches und haben gleichzeitig diesen kulturellen Aspekt: Eine Bar in Istanbul klingt ganz anders als eine Bar in Berlin.
Inwiefern unterscheiden sich diese Geräusche?
Canberk: Zuerst ist die Musik unterschiedlich. In Istanbul stehen die Tische enger, die Menschen unterhalten sich enthusiastischer, ein bisschen lauter und tauschen sich schneller mit den Gästen am Nebentisch aus. Und man hört immer den Klang eines Löffels im Çay-Glas – egal wo, irgendwer trinkt immer Tee. Die Geräuschkulisse dort ist insgesamt eine fröhliche und hat viele Schichten, die ineinandergreifen. Wegen Berlins Techno-Kultur ist die Musik oft basslastig. Die Tische und die Gruppen daran sind kleiner. Dass sie eher unter sich bleiben, kann man hören. In New York kommen dann mehr Jazz-Sounds durch, auch dort sprechen die Menschen etwas lauter… Diese Geräusche kann man nicht künstlich herstellen, sie entstehen ganz pur und unvermittelt aus der jeweiligen Stadt. Als ich während des Lockdowns zu Hause war, hat mir das am meisten gefehlt. Covid-19 hat ein paar Ästhetiken verändert, aber die Idee, uns mit diesen Geräuschen zu beschäftigen, hatten wir schon vorher.
Unterscheiden sich die Städte auch in ihrer Stille?
Elif: In Istanbul findet man auch in der Stille immer irgendein Geräusch – Bäume, Wind, aus den Fenstern rufende Kinder, die Nachbarn. Das sind Dinge, die man dort immer hört. In Berlin fehlt das, es ist viel stiller hier.
Canberk: Der Sound von Istanbul gründet sich vor allem auf Unterhaltungen, auf Kontakt, weil die Stadt so voll ist. Es war enorm seltsam, ihre geschäftigen Straßen leer zu sehen und diese Geräusche nicht zu hören. In Berlin wurde die Stille auch von denjenigen durchbrochen, die mit ihren Bluetooth-Boxen durch den Park gelaufen sind. Und dass es keine Geräusche mehr von Autos in Istanbul gab, war völlig verrückt – den Straßenverkehr hört man hier eigentlich immer.
Elif: Dafür waren die Geräusche der Flugzeuge auf einmal viel lauter als sonst.
Wie übersetzt ihr all das in Kunst? Wie kann das Publikum diese Gedanken in „Bringing the Noise Back“ sehen?
Canberk: Die Stille hat uns noch mehr motiviert, für die Ausstellung zu arbeiten, weil man dabei wirklich alles andere vergisst. Eine der Arbeiten besteht aus überbelichteten Fotografien, die kleine Ausschnitte von den Straßen zeigen. Auch das war eine unserer Erfahrungen: Wir haben nur mal ein einzelnes Auto oder einen einzelnen Menschen gesehen und wussten dadurch, dass die Stadt noch lebt. Wir haben diese kleinen Fragmente genommen und sie auf Fotos gebracht. In einer anderen Arbeit sieht man einen fiktionalen Charakter, der auf Geräuschen basiert und seine Erinnerungen mit dem Publikum teilt. Sounds sind schon eine Obsession von uns.
Wie hat euch die Covid19-Pandemie im künstlerischen Sinne beeinflusst?
Canberk: Alle Künstler arbeiten ja anders. Ich selbst bin am liebsten draußen, im Kontakt mit Menschen, rede mit ihnen, sehe sie und arbeite parallel dazu an meinen Projekten. Deswegen habe ich mich am Anfang wirklich eingesperrt gefühlt und erst einmal gar nichts gemacht. Ich habe über die Einschränkungen nachgedacht, die ich erlebe, und dann überlegt, wie ich mit ihnen arbeiten kann. Ich fotografiere zum Beispiel gern analog, aber alle Orte, an denen ich meine Fotos hätte entwickeln können, waren geschlossen. Also habe ich angefangen, mich genauer mit digitaler Fotografie zu beschäftigen. Jedes Kunstwerk hat eine Begrenzung – es gibt kein Gemälde auf einer unendlichen Leinwand. Der Ausblick aus meinem Fenster wurde für mich das Limit meiner Kunst und ich habe das mit der Stille einerseits und den Geräuschen, die ich so vermisste, andererseits verbunden.
Haben sich die Geräusche der Städte seit den Lockdowns verändert?
Elif: Die Menschen in Istanbul sind gestresster als vorher. Man hört den wirtschaftlichen Stress – die Leute versuchen, über die Runden zu kommen. Natürlich stresst auch das Virus sie. Viele wollen nicht auf den Straßen unterwegs sein, müssen es aber, weil das Leben doch irgendwie weitergeht. Und hier in Berlin ist es irgendwie entspannter als vorher.
Canberk: In Istanbul merkt man deutlicher, dass wir mitten in einer Pandemie sind – Busse und Bahnen sind leerer und es ist verpflichtend, Masken zu tragen. In Berlin zeigen nur manche Momente, dass etwas anders ist. Erst wenn jemand sagt „Hey, lasst uns in einen Club gehen!“ realisiert man wieder, dass das Leben nicht normal läuft.
Momentan sind die Zahlen in Deutschland moderat, doch mit der Delta-Variante weiß man nie, ob es vielleicht nicht doch noch mal zu einem Lockdown kommt. Habt ihr Tipps, um den zu überstehen?
Canberk: Ich hab mich so eingesperrt und elend gefühlt. Immer wenn ich Elif anrief, meinte sie: „Ah, schön, dass du anrufst, aber ich hab jetzt Yoga, bis später!“ und hat aufgelegt. Sie war wirklich total beschäftigt. (lachen)
Elif: Ich habe sehr viel Sport gemacht und meditiert, das hat mir echt geholfen und meine Laune gehoben. Hab ich ihm auch empfohlen, aber… (lachen)
Canberk: Ich glaube, Routinen sind wichtig – irgendwelche Routinen, und wenn es nur Kaffee trinken, lesen oder telefonieren ist. Und man sollte sich nicht so sehr unter Druck setzen, produktiv sein und die Zeit gut nutzen zu müssen. Einfach nicht zu viel drüber nachdenken. Und: Nicht zu viele Nachrichten lesen, die machen es nur schlimmer.
Interview: Theresa Wiedemann
Titelbild: “fire in tinali”, Ahmet Emre Saruhan