Die Istanbuler Band Reptilians from Andromeda mischt die türkische Punkszene seit 2013 ordentlich auf. Noch vor der Pandemie tourten sie unter anderem durch Spanien, Griechenland und Deutschland. Vor kurzem haben sie ein neues Album veröffentlicht und planen schon die nächsten Auftritte. Doch zu Corona-Zeiten bricht vielen Kreativen in der Türkei die Existenz weg. Die Reptilians kämpfen mit aller Härte gegen den eigenen Stillstand – auch im Lockdown.
Stellen wir uns eine 70er-Jahre-Bar vor. Zigarettennebel sammelt sich unter der Decke im schummrigen Licht, klebriges Bier auf der Haut, die Musik klingt nach Garage-Punk, ähnlich wie The Stooges oder die Ramones, vielleicht noch ein bisschen wilder. Eine zierliche Frau mit wasserstoffblonden Haaren und tiefer Stimme singt und schreit auf einer kleinen Bühne. Punkrock – der darf laut und wütend und mitreißend sein. Das neue Album der türkischen Band Reptilians from Andromeda „Must be destroyed“ klingt ein bisschen wie eine Zeitreise, wie ein Blick zurück in die Jahre, als Punk hierzulande noch als etwas Unerhörtes galt, was er in der Türkei aber zum Teil heute noch ist. Oder auch wie die Zeit vor der Pandemie, als man sich noch bei Rock-Konzerten aneinander reiben konnte und der Schweiß der anderen an einem klebte. Das ist gerade undenkbar, klingt wie ein Horrorfilm oder aber wie ein bisschen Sehnsucht, diese ohrenbetäubende Stille endlich zu durchbrechen.
Rock’n’Roll in der eigenen Sicherheitszone
Die Band besteht zurzeit aus Tolga Özbey (Gitarre), bekannt aus der Pionier-Punkband Rashit, Aybike Çelik Özbey (Gesang), Kerim Gönencer (Bass) und Onat Hafız (Schlagzeug). Gegründet wurden die Reptilians 2013 von Tolga und Aybike. Mit wechselnder Besetzung änderte sich immer auch ein bisschen der Sound, doch der Hang zu Trash, B-Movies und Rock’n’Roll bleibt ein unverkennbares Markenzeichen. So bezieht sich auch der Bandname auf das reptilienartige Monster aus dem Horror-Film The Reptile aus den 1960er Jahren.
Mit den Liedern auf der neuen Platte nehmen sie uns mit in diese schummrigen Musikclubs, genauer gesagt in die Karga Bar in Istanbul, eine der wenigen Underground-Clubs der Stadt. Hier haben sie vergangenen Herbst ihr Album live aufgenommen. Nur mit Mischpult, keine Nachbearbeitung, kein Schnickschnack: So wie es ist, pur und authentisch, so als wäre man dabei. „Grundsätzlich ist die Karga Bar einer der wichtigsten Orte der türkischen Underground-Szene“, erzählt Tolga. „Der Club eröffnete 1996 und hat seine Linie behalten. Wir haben dort so oft gespielt und diese Bar war für uns der beste Ort, unser Album aufzunehmen.“ Doch jetzt ist damit erstmal Schluss: Lockdown. „Da ist jetzt eine große Stille in der Szene“, sagt er. „Jeder bleibt in seiner eigenen Sicherheitszone.“
„Viele haben Selbstmord begangen!“
Viele harren aus, warten, bangen und hoffen. Doch viele Existenzen brechen einfach weg. Zu Anfang hatte die türkische Regierung die Corona-Zahlen noch geschönt, doch spätestens seit Dezember ist klar, dass das Land weltweit mit am meisten von der Pandemie betroffen ist. Zurzeit spricht man von mehr als 2,3 Millionen Infektionen.
„Die Wirtschaft war bereits vor der Krise am Boden“, sagt Aybike. „Viele sind aus Istanbul weggezogen, weil sie kein Geld mehr haben und die Regierung keine finanzielle Hilfe leistet. Viele Menschen haben wegen Hunger Selbstmord begangen. NGOs, Musikverbände und Kollektive konnten nicht viel dagegen tun.“ Da die Situation sich so extrem zugespitzt hat, habe Regierung kürzlich angekündigt, dass sie Musiker*innen insgesamt 1000 Lira auszahlen werde. „Das sind nur 100 Euro, das ist wie ein schlechter Witz …“, sagt sie.
Punk auf Distanz
Schon vor der Krise kämpfte die kleine, aber quicklebendige Szene in der Türkei um ihr Dasein, welches dort kommerziell kaum als Randnotiz Bestand hat. Doch Punk hat seit jeher etwas Aufbäumendes, Unzähmbares. Die Reptilians gehören dazu, bleiben laut und aktiv. „Wir arbeiten zu Hause an neuen Songs, obwohl wir nicht sehr oft zusammenkommen können“, erzählt Schlagzeuger Onat. „In diesen schwierigen Zeiten versuchen wir, in unseren modernen Höhlen positiv zu bleiben“, ergänzt Bassist Kerim. „Wir sind eigentlich eine Live-Band. Wir möchten uns nicht als kommerzielles Produkt ‚verpacken’. Wir arbeiten jedoch an künstlerischen Kreationen für kommende Videos.“ Dafür brauchen sie einen langen Atem. Die Konzerte sind geplant: In Kanada, Deutschland und Japan. Doch wie es weitergeht, wann man wieder spielen kann und in welcher Welt man nach der Pandemie wieder aufwacht, das weiß wohl niemand.
Doch die stetig auch international wachsende Fangemeinde der Reptilians lässt sie nicht in ihren „modernen Höhlen“ verstummen: „Es ist wirklich seltsam, dass die Verkäufe des neuen Albums so gut laufen“, sagt Tolga. „Ich schätze, dass es an den Konzerten und Tourneen liegt, die wir vor der Pandemie gemacht haben. Die Leute kaufen unsere LP und schreiben uns positives Feedback. Wir freuen uns sehr darüber.“
Vielleicht braucht man auch gerade jetzt dieses Gefühl, eine schummrige Bar der 70er Jahre zu betreten mit Zigarettennebel, klebrigen Bier und lauter, mitreißender Musik.
Text: Eileen Kelpe
Fotos: Reptilians from Andromeda
Das aktuelle Album „Must be destroyed!“ im gibt es hier zum Verkauf und auf Spotify.