Bei der Suche nach den ersten Bildern von dem „Deutschen“ im türkischen Film und dem „Türken“ im deutschen Film bin ich auf viele Filme gestoßen, die ich schon als kleines Kind in unserer Berliner Wohnung vor dem Röhrenfernseher gesehen habe: Auf dem damals wohl einzigen deutsch-türkischen Kanal TD1.
Wenn ich zurückdenke, habe ich die blonden Frauen mit dem gebrochenen Türkisch, die deutsche Frauen darstellen sollten, nie als solche wahrgenommen. Die paar einstudierten deutschen Floskeln haben sich nicht deutsch angehört, die Deutschlanddarstellungen mit den riesigen Fabrikgeländen, grau und leblos, sahen nicht aus wie Deutschland. Mein Deutsch und mein Deutschland hatten andere Laute und andere Bilder.
Natürlich beziehe ich mich hier auf Filme, die lange zurückliegen, doch als ich beschloss, 2010 nach Istanbul zu ziehen, begegnete ich den überzeichneten Bildern im Fernsehen und im Alltag erneut und als ich all die Filme vor Kurzem noch einmal ansah, bemerkte ich, warum.
Helga ist selbstbewusst, Hans ist eingeschüchtert
Die türkisch-deutschen Beziehungen blicken auf eine lange Vergangenheit zurück, doch generell wird das Interesse der breiten Masse in der Türkei für Deutschland erst mit der Arbeitermigration ab den 1960er Jahren geweckt. Genau zur selben Zeit erlebt die Filmindustrie in der damaligen Türkei ihre Blütezeit. Yesilcam (dies ist die Bezeichnung für den türkischen Mainstreamfilm, die sich ableitet von der „Yesilcam Straße“, dem Zentrum des Studiosystems in Beyoğlu) steht hoch im Kurs und schafft eine neue Realität. Eine, auf welche die Menschen, die erschüttert von den damaligen politischen Ereignissen sind, stolz sein können. Die Gastarbeiter, auch „Almanci“(Deutschländer) oder „Gurbetçi“ (der im Ausland Lebende) genannt, sind eine beliebte Figur der Filmemacher. So kommt es, dass sie in ihren Filmen neben dem Bild des Almancis auch ein Bild für den/die Alman (Deutsche*r) erschaffen. Ein äußerst verzerrtes Bild, beladen mit Klischees, Vorurteilen und völlig überholten Tatsachen.
Mit großem Vergnügen scheinen die Filmemacher vor allem die deutsche Frau zu thematisieren. Die deutsche Helga, wie sie in den meisten türkischen Filmen genannt wird. Eine blonde Schönheit, freizügig, leicht zu haben, egoistisch, eitel und unglaublich scharf auf türkische Männer, wie zum Beispiel im Film Almanya da bir Türk kızı (“Ein türkisches Mädchen in Deutschland”) dargestellt wird. Die im Film dargestellte Vorliebe der deutschen Frau dem türkischen Mann gegenüber muss das Ego einiger männlicher Kinobesucher stark befriedigt haben.
Im Gegensatz zur Helga, die selbstbewusst auftritt, ist der deutsche Hans – ebenfalls ein oft verwendeter Name für den deutschen Mann – ein eingeschüchterter, kleinlicher Mann, der wenig zu sagen hat. Diese Stereotypen von Hans und Helga sind heute noch eine beliebte Figur türkischer Comedians.
Ich richte meine Suche weiter auf andere deutsche Stereotypen und begegne kleinen Hippiekarawanen mit ihren kunterbunt bemalten VW Bussen, schrill und komisch. In den Filmen Cilali Ibo Almanya da/ Avrupa da (“Cilali Ibo in Deutschland/ Europa”) oder Ankara Ekspresi (“Ankara Express”) springen mir Nazi-Muster ins Auge.
Deutschland wird oft als ein Ort umringt von monumentalen grauen Bauten gezeigt, als ein Land, in dem die Menschen viel arbeiten, in dem es wenig Leben, aber viel Geld zu geben scheint. Lange Zeit dominieren diese Bilder in den Köpfen der Türkei-Türk*innen. Die Filmindustrie erschafft Klischees, die über Jahre anhalten. Erst ab den 1990er Jahren kann sich mit dem Einfluss der deutsch-türkischen Filmemacher*innen aus Deutschland ein reflektierteres Bild der „Deutschen“ und „Deutschlands“ im türkischen Film durchsetzen.
Von den Gastarbeiter-Filmen zu Fatih Akın
Auch deutsche Filmemacher*innen haben sich mit dem Beginn der Arbeitermigration der Einwanderungsthematik angenommen, doch rückt der „Türke“ als „Gastarbeiter“ erst ab den 1970er Jahren in den Fokus des deutschen Films. Die wenigen Filme, die sich mit dieser Thematik beschäftigen, können zum “Betroffenheitskino” gezählt werden. Diese Art von Film setzt sich unter anderem mit den Themen der Andersartigkeit, Fremdheit, den nicht erfüllten Hoffnungen sowie mit dem Zurechtfinden der Einwanderer*innen in der kalten Realität Deutschlands auseinander. Den “fremden” Figuren wird dabei generell eine Operrolle zugewiesen.
Die Filmemacher*innen greifen in ihren Filmen oft auf die Stereotype des despotischen und unterdrückenden Türken „Ali“ und der unterdrückten Türkin „Ayşe“ zurück, wie zum Beispiel in den Filmen Shirins Hochzeit oder 40 Quadratmeter Deutschland. Weiter wird, wie in dem Film Yasemin von Hark Bohm, ein modernes aufgeklärtes Deutschland der archaisch-patriarchalen Türkei gegenübergestellt. Yasemin erzählt im “Romeo-und-Julia-Stil” von der jungen und verbotenen Liebe zwischen einer 17-jährigen Deutsch-Türkin und einem 20-jährigen deutschen Studenten aus Hamburg.
Ab den 1990er Jahren zeichnet sich, mit dem verstärkten Auftreten deutsch-türkischer Filmemacher*innen, ein Wandel im Filmgeschäft ab. Diese Filmschaffenden – meist aus der zweiten Generation türkischer Einwanderer*innen – kehren dem Betroffenheitskino den Rücken. Sie brechen mit der „Tradition“ des Stereotypen, heben Klischees auf und durchbrechen kulturelle, ethnische und nationale Grenzen, wie zum Beispiel der Film Auf der anderen Seite von Fatih Akın.
Mit Fatih Akın komme ich wieder zurück in unsere Zeit. Rückblickend sehe ich, dass ich beim Durchwühlen alter Filme auf viele Klischees der Deutschen und Türken gestoßen bin, auf Bilder, die mich teils zum Lachen, teils zum Stirnrunzeln brachten. Ich weiß nicht, inwiefern es am Einfluss der Filme liegt, die damals produziert wurden, wenn heute in der Türkei der „Deutsche“ oft als „kaltherzig“ und der „Türke“ in Deutschland oft als „Despot“ gesehen wird. Dennoch haben die damaligen Filme, vielleicht unbewusst, ihren Beitrag zum Aufkommen solcher verallgemeinernden Vorurteile geleistet.
Text: Neslihan Yakut
Titelbild: Ankara Ekspresi