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Eine Misswahl mit Migrationshintergrund

Bei einer Misswahl geht es meist um Zickenkrieg, viel nackte Haut und die Krone. So ist zumindest die generelle Auffassung. Dass eine Misswahl aber auch ganz anders sein kann, hat Tuğce Yilmaz in den letzten Wochen erlebt. Tuğce ist 23 Jahre alt, studiert Anglistik und Philosophie in Mannheim, tanzt fast dreimal die Woche auf Leistungssportniveau und hat sich diesen Sommer auf die Miss Turkuaz beworben. Die Miss Turkuaz ist eine Veranstaltung, die seit fünf Jahren einmal im Jahr die schönste Deutsch-Türkin krönt.

Das Konzept hat es in sich. Was die Gewinnerin für ein Jahr vertritt ist der Titel der “schönsten Seite von Integration und Erfolg”. Die Miss Turkuaz muss der Presse weniger Fragen über Make-Up und Fashion beantworten, sondern eher über Integration, Zuwanderung und Chancengleichheit. Nicht unbedingt die leichteste Aufgabe.

10735851_670052323107422_1582808483_nTuğce war eine der zwanzig Finalistinnen, die nach der Online-Bewerbung und einem Casting Anfang Oktober für eine Woche am Trainingscamp teilnahm, aus dem im Anschluss die Gewinnerin hervorging.

Neben Fitnessprogrammen, Fotoshootings und Laufstegtrainings wurde im Trainingscamp die Geschichte der Türken in Deutschland behandelt und es wurde über Themen wie Integration und Identität disskutiert. Diese Workshops waren für Tugce besonders faszinierend. “Es gab dort so unterschiedliche Meinungen. Zum Beispiel haben wir darüber gesprochen, ob man sich als Deutsch-Türkin benachteiligt oder bevorzugt fühlt und da brachte jede ihre eigenen Erfahrungen und Geschichten mit, weshalb die Ansichten oft sehr unterschiedlich ausfielen.” Tuğce selbst kam mit neun Jahren aus Ankara nach Deutschland und fand sich unter Menschen wieder, die sie herzlich aufnahmen und unterstützen. Vor allem ihre Lehrerin half ihr anfangs, sprachliche und kulturelle Hürden zu überwinden.

Tuğce selbst sieht sich als Türkin, doch auch als Teil der deutschen Gesellschaft. “Wir müssen diese Einteilung in ‘Wir und Die’ überwinden. Wir alle formen diese Gesellschaft und sind Teil von ihr. Ob Deutsche oder Türken. Und so sollten wir auch wahrgenommen werden. Als aktive Individuen, die diese Gesellschaft mitprägen und einen Beitrag zu ihrer Entwicklung leisten.” Im Trainingscamp bemerkte Tuğce, wie groß der Bedarf an Gespräch und Auseinandersetzung der Teilnehmerinnen mit diesen Themen war. Und wie gut es tat, sich in ähnlichen Situationen wiederzufinden oder sich auch mit ganz gegensätzlichen Meinungen zu beschäftigen.

Doch nicht nur für die Teilnehmerinnen ist die Miss Turkuaz eine wohltuende Herausforderung. Yildiray Cengiz, Initiator und Veranstalter der Miss Turkuaz hatte ursprünglich vor allem das Ziel, dem Thema Integration neben den bestehenden theoretischen  Diskussionen und negativen Presseberichten über Frauen mit Türkei-Wurzeln ein – im wahrsten Sinne des Wortes – frisches Gesicht zuzufügen. Mitt Turkuaz zeigt türkischstämmige Frauen selbstbewusst inmitten der Gesellschaft. “Auf die endlos negative Medienberichterstattung über türkischstämmige Frauen wollen wir mit der Schönheit und dem Erfolg durch einen Wettbewerb dieser Art antworten.” Cengiz will die Menschen, die Zuschauer dieses Wettbewerbs dazu auffordern, sich mit den Stereotypen in ihren Köpfen zu beschäftigen. Er nennt es eine “positive Falle”. Gerade weil Misswahl und Integration auf den ersten Blick nicht klar zusammenpassen, rege es in den Menschen die Auseinandersetzung mit den eigenen Vorurteilen an. Und nur dadurch kann überhaupt die Basis des gegenseitigen Entgegenkommens geschaffen werden. “Wir müssen ehrlich und objektiv aufeinander zugehen und uns miteinander beschäftigen.”, sagt Cengiz. So kann die Gesellschaft in Deutschland durch Zuwanderung und Vielfalt wachsen und sich zum Positiven entwickeln.

Die Gewinnerin der Miss Turkuaz, die nun für ein Jahr ein Vorbild für Frauen mit türkischen Wurzeln und deren Stand in dieser Gesellschaft sein soll, wurde die Jurastudentin Aslı Cankat. Tuğce bekam keinen Titel. “Natürlich habe ich mir Hoffnungen gemacht. Deshalb war ich auch dementsprechend traurig, als es nicht geklappt hat.” Doch die gesammelten Erfahrungen sind nachhaltig. “Durch die Workshops und das Zusammensein haben wir über unsere Identität reflektieren können. Leider ist der Begriff Deutsch-Türke oft negativ konnotiert, doch eigentlich können wir stolz sein auf unsere Bilingualität, auf unser Verständnis von zwei unterschiedlichen Kulturen und der Fähigkeit, in beiden Zuhause zu sein. Dies sind Stärken, derer man sich vielleicht nicht so bewusst ist. Und durch diese Woche wurden sie uns bewusst gemacht.”

Tuğce sagt, solche Begegnungen tun Not. Veranstaltungen und Programme, die diese Thematik behandeln, sollten gefördert und vermehrt initiiert werden. Die Miss Turkuaz ist, wenn auch eine kontrovers gesehene Veranstaltung, eine Möglichkeit, Menschen zusammenzubringen und über Themen wie Integration und Gesellschaftsgestaltung zu reden und Multikulturalität zu feiern.

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