“Işiyorum“, kreischte ich ins Telefon, “Işiyorum!” Für diesen Anruf hatte ich eine Konferenz verlassen müssen. Die Dinge zwischen mir und Ikea standen im Argen, weil ich mich entschlossen hatte einige Möbel online zu bestellen und mir zuliefern zu lassen. Intelligente Entscheidung, würde so mancher sagen. Ich würde dasselbe machen, würden Andere sagen. Dies ist auch was ich mir dachte. Leider hatte ich vergessen einen wichtigen Faktor in meine Kalkulation des Ablaufs dieses Austausches einzuberechnen. Ich lebte zu dieser Zeit schon in Istanbul, aber mein Türkisch war noch immer eher non-existent oder çok az wie die Türken gerne sagen.
Nun ist Istanbul zum großen Teil ja eine atemberaubende Stadt, die sich wunderschön an den Bosphorus schmiegt und auf den obligatorischen sieben Hügeln der antiken Geschichte gebaut wurde. Seit einigen Jahrzehnten aber, ist sie zu einer unglaublichen Millionenstadt herangewachsen und beherbergt inzwischen 16 Millionen, oder mehr, Einwohner*innen. Die Stadt hat eher bescheiden begonnen, noch vor 50 Jahren war Istanbul eine kleinere Stadt mit etwa 1 bis 1,5 Millionen Einwohner*innen. In etwa so groß wie Wien. Seither ist sie so unverhältnismäßig schnell gewachsen, dass es unmöglich ist die Grenzen der Stadt zu sehen. Wenn man auf der Aussichtsplattform eines Hochhauses in der Mitte steht, oder sogar ein wenig weiter weg vom Zentrum, kann man die Grenzen der Stadt nicht erkennen. Es ist ein atemberaubender Anblick, ich würde sogar sagen er ist unbegreiflich für eine Österreicherin aus einer „Stadt“ in den Bergen mit 10.000 Einwohnern. Warum sind diese Daten wichtig für meine Geschichte? Nun ja, schnelles Wachstum – man bedenke 15 Millionen mehr Menschen in 70 Jahren – schnelles Wachstum bedeutet Chaos. Straßen wurden gebaut, aber sicherlich nicht gut, weil sie eben in Eile gebaut werden mussten. Das bedeutet, dass es in Istanbul ständig „trafik“ gibt, das Wort wird für Staus und den Verkehr im Allgemeinen benutzt. Staus gibt es zu bestimmten Tageszeiten oder eigentlich zu fast jeder Tageszeit. Die Istanbuler haben alle eine App, die ihnen jederzeit die Verkehrslage anzeigen kann. Danach richten sie ihre Erledigungen aus oder versuchen dem Stau auszuweichen. Die App heißt Cep Trafik und hat sich auch für mich schon oftmals als sehr nützlich herausgestellt.
Man kann in Istanbul locker mit Fremden über den Verkehr sprechen, selbst wenn man die Sprache nicht so gut beherrscht. Diese Konversationen bestehen meistens aus einem Klicken (Schnalzen) mit der Zunge, was bedeutet dass man etwas schlecht findet, und den vier Worten Trafik çok kötü, dimi? (Der Verkehr ist sehr schlecht, oder?). Über den Trafik kann man immer sprechen, er liegt jedem sehr am Herzen. In Istanbul ist es nicht ganz unüblich über 2 Stunden Anreisezeit einberechnen zu müssen.
Ein zweiter Faktor, den ich nicht berechnet hatte, der aber mit dem Trafik zu tun hatte, sind die Straßen. Ich lebe in einer engen, steilen Sackgasse, die man – je nachdem wie Google gerade mal eben mag – auf Maps findet oder nicht. Menschen, die mir also etwas liefern wollen, müssen andere Leute fragen wo sich mein Haus befindet. Solche Dinge führen natürlicherweise zu langen Umwegen, zu einigen riskanten Umdrehmanövern auf steilen Hügeln und zu rasanten Bergabfahrten. Es ist einfach nicht höflich den Weg nicht zu wissen. Der Weg wird angesagt, selbst wenn er falsch ist.
Wo war ich? Ach ja, Ikea und Lieferungen in Istanbul. Nun, da wir die geographischen Umstände geklärt haben, zurück zu meinem Plan. Ich hatte also alles Mögliche von Ikea Istanbul bestellt, indem ich zuerst alles auf der österreichischen Seite recherchiert hatte und dann die Namen der Möbel auf der türkischen Seite eingegeben hatte. Irgendwie war es mir dann auch möglich die Bestellung aufzugeben und online zu bezahlen. Das war nun mal schon eine ziemliche Herausforderung, die ich stolz bestanden hatte, aber ich hatte keine Ahnung was noch kommen sollte.
Türkische Lieferservices bedenken nicht wie der Alltag einer arbeitenden Single Frau aussieht, aber – und ich muss das zur Verteidigung von Ikea Türkei sagen – ich habe den Verdacht, dass Ikea wohl versucht hat mir die Möbel dann zu liefern, als es wenig Trafik gab. Jedenfalls habe ich dort, wo ich arbeite, kaum Handyempfang, aber als ich eine fremde Nummer auf meinem Handy sah, dachte ich mir sofort, dass es sich wohl um Ikea handeln muss und ich versuchte die Nummer zurückzurufen. Jemand nahm ab, aber als ich Englisch sprach wurde das Gespräch beendet. Solch ein Verhalten hatte ich bereits mehrmals erlebt, ich war also nicht wirklich überrascht, nur leicht genervt. Zum Beispiel, wenn man ein Geschäft betritt und Englisch spricht, neigen Verkäufer*innen dazu, Einen zu meiden, als ob man die Personifizierung des Teufels wäre. Man läuft also auf Englisch redend herum und sucht nach Verkaufspersonal, das sich hinter Blusen und Hosen oder in irgendwelchen Hinterräumen vor Einem versteckt und so tut, als wär man gar nicht da. Um irgendeinen Fortschritt zu garantieren, rief ich also die Ikea Nummer nochmal an und versuchte auf Türkisch zu erklären, wo sich meine Wohnung befindet und wann sie die Möbel vorbeibringen könnten. Das Gespräch endete mit einem fröhlichen tamam auf beiden Seiten.
Am nächsten Tag (wir haben eine weitere wichtige Konferenz) läutet mein Telefon wieder und die Männer von Ikea sind am Apparat. Sie bestehen darauf, dass sie jetzt da wären und dass sie die Sachen jetzt liefern würden. Ich versuche zu sagen, dass ich in einer Konferenz wäre und sage: Işiyorum (iş heißt Arbeit auf Türkisch, yorum ist die Endung Präsens für das erste Personalpronomen) ins Telefon. Işiyorum rufe ich laut über den Schulhof (ich bin Lehrerin an einer privaten Schule), weil ich mich inzwischen schon ein wenig ärgere. Die verhaltenen Lacher meiner türkischen und türkischsprechenden Kolleg*innen und die wirklich fröhliche Antwort der Ikea-Fahrer, die ich ja soeben angeschrien habe, verunsichern mich ein bisschen. Schließlich habe ich geschrien, dass ich arbeiten würde und dass die Lieferung nicht stattfinden könnte.
Später half mir eine türkischsprechende Freundin mit dem Termin und wir konnten einen vernünftigen Liefertermin verhandeln und den Liefermännern den Weg zu meiner Wohnung ansagen. Als die Lieferung am Abend kam, war ich wirklich erleichtert, dass ich endlich Möbel für mein bis dahin leeres Apartment hatte. Ich freute mich besonders darauf endlich ein Gestell für meine Matratze zu haben, ein Bett, ich wollte endlich in einem normalen Bett schlafen. Leider war genau das Bett nicht in der Lieferung inkludiert!
Der Lieferant wollte dann, dass ich einen Wisch unterschreibe auf dem stand, dass die Lieferung ordnungsgemäß angekommen sei. Ich weigerte mich und sagte, dass ich erst unterschreiben würde, wenn ich alle Teile beisammen hätte. So ging das eine Weile hin und her.
Da wir uns beide nicht so richtig verständigen konnten und wir nur annehmen konnten, was die andere Person sagte, begannen wir uns gegenseitig anzuschreien. Wir schrien nicht aus Verärgerung oder Wut, wir schrien, weil wir beide dachten, dass die paar Worte, die wir in einer Fremdsprache kannten, geschrien besser verständlich wären.
Er schrie auf Englisch und ich auf Türkisch. Beide eher wenig erfolgreich. Wir standen also in der sokak (Straße) und schrien uns lächelnd an, er mir einen Stift vor die Nase haltend, während ich ablehnend winkte und yok, yok (nicht, nicht) rief, um auszudrücken, dass ich keinesfalls unterschreiben würde. Wir ließen es irgendwann bleiben. Bis heute weiß ich nicht, was er wirklich von mir wollte. Glücklicherweise lieferte er mir mein Bettgestell am nächsten Tag, ich baute es zusammen und schlief endlich wieder gut.
Zwei Wochen nach dem Vorfall ging ich, wie immer am Donnerstag, zu meinem Türkischkurs. Wir hatten eine tolle und geduldige Lehrerin (Danke Ciğdem!) und sie erklärte uns, zum x-ten Mal, alle Verben. Da alle im Türkischkurs Lehrer*innen an meiner Schule waren, redeten wir auch manchmal über die Arbeit oder darüber, wie es ist fremd in einer anderen Kultur zu sein und somit die Sprache nicht gut zu sprechen und zu welch seltsamen Situationen das führen kann. Als ich meiner Lehrerin von der Ikea Lieferung erzählte und wie ich işiyorum schrie, brach sie vor Lachen zusammen. Ich verstand nicht warum. Sie musste nach Luft ringen und ihre Augen tränten. Ich war natürlich sehr verwirrt. Noch immer lachend, erklärte sie mir, dass işiyorum heißt man würde gerade urinieren. Ich mache mir in die Hose quasi. Ich hatte also geschrien -sehr laut und über den ganzen Schulhof – dass ich mir gerade die Hose nassmachen würde. Ich hatte dies auch, sehr laut, dem Lieferpersonal mitgeteilt. Ich muss sagen, jeder hat sich sehr höflich verhalten. Ich vermute sie hatten schon mal mit yabancılar (Fremden) zu tun gehabt, die laut schrien, sie würden sich jetzt gerade in die Hose machen. Seitdem kann ich mir die richtige Vokabel für „ich arbeite“, nämlich çalışıyorum, sehr gut merken
Text: Birgit Metzler
Illustration: Seda Demiriz