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Die Heimat in dir selbst

Eine Buchbesprechung zu Nadire Biskins "Ein Spiegel für mein Gegenüber"

In welcher Stadt, in welchem Land bist du zuhause? Wohin gehörst du? Wo kannst du sein wer du bist, mit deinem “fremden” Namen, deiner Haut- und Haarfarbe? Wo wirst du immer wieder daran erinnert, dass du nicht von dort bist, wo du geboren wurdest, aber auch nicht von dort, wo deine Eltern geboren wurden? Wo ist dieses zuhause? Wo kannst du atmen? 

Um diese Fragen spannt sich die Geschichte von Huzur in Nadire Biskins Debütroman “Ein Spiegel für mein Gegenüber.”

Deutschland und die Türkei. Berlin. Berlin-Wedding. Huzur empfindet ihr Leben als einen Balanceakt, sie ist immer bemüht, nicht aufzufallen: nicht zu sehr zu zeigen, woher sie kommt, nicht zu türkisch, aber auch nicht zu deutsch. Bis sie diese Mühe leid ist.

“Sie weiß selber nicht wer sie ist: Ich bin die, die nicht von hier und nicht von dort ist. Ich spreize meine Beine zu einem Spagat zwischen zwei Stühlen, und versuche, die Stühle auf diese Weise näher zu rücken, bis ich gerade auf ihnen stehen kann.”

Ihr Bildungsweg war für sie kein selbstverständlicher, ihr Hintergrund, der ihrer türkischen Arbeiter*innen Familie und die ihres deutschen Wohnortes sahen einen höheren Abschluss nicht vor. Alles was Huzur hatte, war ihr Wille: Mit diesem absolviert sie das Gymnasium, erreicht ihren Universitätsabschluss und wird als Referendarin eingestellt. Doch auch oder sogar dort stößt sie auf Klischees und Narrative, die an ihr kleben und die sie nicht los wird. Die Kassiererin in Penny, für die ihre Mutter unsichtbar zu sein scheint, die Sachbearbeiterin im Amt, die beim Anblick ihres Vaters die Nase rümpft, die Kollegin im Lehrer*innenzimmer mit ihren rassistischen Bemerkungen, die Verwandtschaft in der Türkei – Huzur und ihre Familie werden nicht gesehen. 

Die für sie schmerzhafteste Art der Ausgrenzung, diese Worte und Blicke sind es, die Huzur nicht atmen lassen. Weder hier, noch dort. Denn auch dort erinnert man sie daran, nicht eine von ihnen zu sein. 

Meine Antworten füllen meinen Mund, reizen meine Stimmbänder, ich schlucke sie wie Mundwasser und manchmal spucke ich sie zu einem Spiegel für mein Gegenüber aus.

Eine rassistische Bemerkung ihrer Kollegin, es könnte eine von vielen Bemerkungen sein, die Huzur schon ihr Leben lang gehört hat, doch diese eine Bemerkung zu viel ist es, die Huzurs Geduld zerreißen lässt und ihr immerwährender innerer Konflikt gewinnt überhand. Gerade als ihre Gefühle so sehr in Aufruhr geraten findet sie die kleine Huda, die ihre Familie und ihre vom Krieg zerstörte Heimat zurückließ und allein und verloren in Deutschland Zuflucht sucht.

Diese Begegnung mit einem noch heimatloseren Mädchen ist es, die Huzur mit Melancholie und Rebellion erkennen lassen, dass es an der Zeit ist, ihren Weg zu finden, um ihre eigene Geschichte zu schreiben. Denn zum ersten Mal kehrt ein Bewusstsein für sich selbst ein und es scheint, als würde Huzur nun den Weg den einst ihre Familie begann, als sie die Reise ins Unbekannte wagten, mit erhobenem Haupt weitergehen.

Nadire Biskin reflektiert mit Huzurs Gefühlswelt die Geschichte einer ganzen Generation, die sich in Deutschland und in der Türkei verloren und aufgehoben, fremd und vertraut fühlt. Es gelingt ihr Elemente ineinander zu verweben, die gegensätzlicher nicht sein können und sie spinnt daraus Seite um Seite die Geschichte einer jungen Frau, die alles in Frage stellt um die Heimat zu finden, nach der sie sich sehnt. 

Es heißt, in jedem Roman sei ein Teil der Seele des*der Autor*in hinterlassen. Zweifelsfrei hinterließ Nadire Biskin in ihrem Debüt ihr Herz und sehr viel Seele.


Text und Bild: Banu Pınar

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Rough und gleichzeitig verletzlich