Economania ist ein zweisprachiges Theaterstück, das in Kooperation mit dem Theater an der Ruhr und dem Theater Altıdan Sonra/Kumbaracı50 entstanden ist und am 18. September seine Premiere im Kadıköy Halk Eğitim Merkezi in Istanbul hatte. Im Dezember und April kommt es noch einmal nach Istanbul. Seine deutsche Premiere wird am 12. November am Theater an der Ruhr stattfinden. Dort ist es dann außerdem noch im Februar und März zu sehen.
Im Stück herrscht ein Sprachen- und Verständigungschaos. In der nicht allzu fernen Zukunft leben die Menschen in einem Müllberg aus Abfall, Zivilisationsresten, Sprach- und Bedeutungsfetzen. Apathisch kauen sie an dem, was ihnen die Welt überlassen hat, zählen ihre Tage und verstecken sich vor einer unsichtbaren riesenhaften Macht. Eine Gruppe von Schauspielern taucht dann aus einem langen Schlaf unter dem Schutt der Zivilisation auf und versucht, sich mit Theater dieser nicht greifbaren Macht entgegenzusetzen.
Verfasst wurde “Economania” von Yiğit Sertdemir, Dramaturg ist Helmut Schäfer. Roberto Ciulli, Regisseur des Stücks, und neben Helmut Schäfer Gründer des Theaters an der Ruhr, erzählte mir von der türkisch- deutschen Kooperation und der universellen Sprache des Theaters.
Das Theater an der Ruhr war eines der ersten in den 80er Jahren, das türkisch-deutsches Theater realisierte. Selbst ein italienischer Immigrant in Deutschland forderte Roberto Ciulli, dass die große Gruppe an türkischen Immigranten die Möglichkeit haben sollte, Theaterstücke in türkischer Sprache zu sehen. Das Theater an der Ruhr war dann das erste deutsche Theater, das 1987 in der Türkei gastierte und infolge dessen Kooperationen mit türkischen Theatern einging. Noch heute hat das Theater an der Ruhr eine tiefe Verbundenheit zur Türkei. Neben der Kooperation mit türkischen Partnern wie Altıdan Sonra/Kumbaracı50, laufen im Theater an der Ruhr regelmäßig Theaterstücke in türkischer Sprache.
Roberto Ciulli sagt mir, dass das Theater eigentlich genau der Ort sein kann, in welchen mit Konzepten wie Nationalzugehörigkeit gebrochen wird. Das Theater an der Ruhr und das Theater Altıdan Sonra/Kumbaracı50 haben sich gefunden, weil sie die gleiche Sprache sprechen, die gleiche Sprache im Hinblick auf das Verständnis von Realität und Kunst. Das Theater sei vielleicht selbst ein Ort an dem sich die träfen, die sich wie Fremde im eigenen Land fühlten und hier, im Theater, ihre Heimat und ihre Sprache fänden. Und da ist die verbale Sprache schon fast egal. Da zählen Gestik, da zählt Ausdruck, Situation und Atmosphäre. Roberto Ciulli selbst geht sogar lieber in Theaterstücke, in denen er die Sprache nicht versteht. Dort hat seine Imagination Platz.
Und das ist auch ein Konzept hinter seinen Stücken und hinter diesem Stück. Der Zuschauer soll aus den Vollen seiner Imagination schöpfen und selbst zum Autoren werden. Er schreibe in seinem Kopf sowieso die besseren Geschichten, meint Roberto Ciulli. Das Theater hat die Aufgabe, die Kreativität in Gang zu bringen und ein Rätsel aufgeben. Und das Denken, das fordert Roberto Ciulli dann von seinen Zuschauern.
In Economania ist der Zuschauer gefordert. Muss Wortfetzen, muss fremde und gewohnte Laute zusammenfügen und sich sein eigenes Verständnis schaffen. Die Verwendung von zwei Sprachen, wenn man nicht beider mächtig ist, führt dazu, dass man sich verloren und aber auch verzaubert fühlt von dem Klang der Fremde und seiner Mysteriösität. Und das schaltet die eigene Fantasie ein. Unterstützt wird man dabei von prägnanten, starken Bildern, die einen in den Strudel der Absurdität und Verlorenheit der Situation bringen. Man hat das Gefühl, selbst durch den abfallartigen Wirrwarr zu stapfen, in dem die Darsteller sich bewegen. Und die Fetzen, die man findet, die bastelt man zusammen, wird zum Autoren, so, wie vielleicht von Roberto Ciulli gewollt. Und so schafft das Theater tatsächlich eine eigene universelle Sprache der Imagination und Kunst, die über die Verbalität hinaus, und tief in das Gefühl hineingeht und somit vielleicht die Fremdheit zwischen Menschen, Kulturen und Nationen ein wenig aufheben kann.
Schauspieler: Aslı Can Kortan, Dagmar Geppert, Ferhat Keskin, Gülhan Kadim, İsmail Sağır, Matthias Flake, Peter Kapusta, Petra von der Beek, Recai Hallaç, Rupert Seidl, Sinem Öcalır und Steffen Reuber.
Musik und Sound-Design: Matthias Flake, Dekor: Gerhard Benz, Kostüm: Heineke Stork, Licht: Ruzdi Aliji