In der Schule musste Filiz die Aussprache und den Ursprung ihres Namens oft erklären. Und halb-türkisch sein, oder wie man das auch immer bezeichnen mag, galt in ihrem damaligen Schulumfeld – katholisch, teenagerig – nicht unbedingt als cool. Deswegen rang sie lange mit ihren türkischen Wurzeln.
Jetzt ist Filiz 26 Jahre alt, studiert Kulturwissenschaften in Lüneburg und wenn ihr nun jemand sagt, sie habe türkische Züge, dann fasst sie das als Kompliment auf. Dazu hat der Aufenthalt in Istanbul im Frühjahr 2014 viel beigetragen. Sie entschloss sich damals, für vier Monate ein Praktikum in der Kulturorganisation Katadrom in Istanbul zu machen und die Türkei und ihre Menschen besser kennen zu lernen.
Filiz, was für eine Türkei hast du für dich entdecken können?
Filiz: Ich kannte die Türkei bis dahin von Familienbesuchen und den Sommerferien im Ferienhaus. Das ist natürlich nur ein ganz bestimmter Ausschnitt. Ansonsten kannte ich das Land durch den Blickwinkel meines Vaters, wie er die Menschen, Politik und Kultur erlebt hatte und an uns weitergab. Deshalb wollte ich mir ein eigenes Bild von der Türkei machen. Was ich kennen gelernt habe, ist eine unglaublich bunte Türkei und insbesondere Istanbul als eine Stadt mit ganz vielen unterschiedlichen Menschen und Facetten. Und Lebensstile, die nicht dem Klichee entsprechen, das man vielleicht in Deutschland erwartet. Wegen meines Studiums hat mich natürlich auch die Kulturszene interessiert. Und es hat mich sehr gefreut zu sehen, dass diese in Istanbul unglaublich groß und international und lebendig ist.
Du warst in dieser Szene dann ja auch sehr aktiv. Zum Beispiel hast du an einem Fotowettbewerb des International Changing Perspectives Short Film Festivals teilgenommen, bei dem ein Foto von dir ausgestellt wurde. Was hat dieses Foto für eine Geschichte?
Filiz: Das Foto ist noch ganz zu Anfang entstanden, bei Sultanahmet, in der Touristengegend. Dort habe ich die Luftballons entdeckt, die so schön von der Sonne beschienen wurden, direkt vor den großen Bäumen. Deshalb entschied ich mich, ein Foto zu machen. Kurz darauf kam ein älterer Herr an, der dann, mit motivierender Zusprache seiner Frau, mit einem Gewehr auf die Luftballons einschoss. Das zerstörte natürlich die Harmonie in meinem Kopf. Aber dann erkannte ich, wofür die Luftballons da waren. Es gibt diese Art von Luftballon-Installationen, auf die man schießen kann, an vielen Orten in Istanbul. Das ist sowas wie ein Jahrmarktsspiel. Ich fand das dann unglaublich lustig, wie diese unterschiedlichen Bilder: Luftballons und Gewehr so rasch nacheinander auf mich einflossen und so gar nicht zusammen passten.
An diesem Beispiel kann man ja sehr schön sehen, wie wir bestimmte Ausschnitte wahrnehmen und sie aus dem Kontext heraus, oder mit anderem Vorwissen und anderen Assoziationen ganz unterschiedlich verstehen.
Filiz: Ja, auf jeden Fall. Hätte ich zum Beispiel nur den Mann mit der Waffe fotografiert, hätte das Bild sehr verstörend gewirkt. So wirkt es natürlich sehr bunt und friedlich.
Alles eine Frage der Wahl der Perspektive.
Filiz: Ja, auch etwas, das mir in Istanbul noch einmal deutlicher wurde. Nicht im Bereich der Kunst, sondern eher der Berichterstattung. Nachdem ich in Istanbul gelebt habe, ist mir sehr klar geworden, wie eindimensional und aus was für einem westlich zentrierten Blick in Deutschland im Zusammenhang mit der Türkei berichtet und gedacht wird. Das ist schon sehr schade.
Zum Beispiel?
Filiz: Na, ein ganz stereotypes Beispiel ist das der Kopftuch-Frau. Das setzen in Deutschland viele automatisch mit der Unterdrückung der Frau gleich. Aber eine wirkliche Auseinandersetzung findet überhaupt nicht statt. Diese Meinung entsteht nicht, weil man sich mal mit einer Frau mit Kopftuch unterhalten hat, sondern durchs Hörensagen oder durch irgendwas, was man in der Zeitung gelesen oder im Fernsehen gesehen hat. Und dort gibt es leider generell nicht viele unterschiedliche Blickwinkel.
Du hast dich in Istanbul mit deiner inneren Türkin angefreundet, warum?
Filiz: Ich glaube, ich bin mir der Reichhaltigkeit an Perspektiven bewusst geworden, die ich besitze. Eben, weil ich schon als Kind mit unterschiedlichen Konzepten und Ideen umgehen lernen musste, habe ich vielleicht mehr Verständnis für unterschiedliche Positionen. Anders, glaube ich, als Leute, die jetzt “rein” deutsch sind, ach das ist immer so schrecklich, das zu formulieren, aber, ich kann Dinge eher verstehen, weil ich einfach mit unterschiedlichen Blickwinkeln aufgewachsen bin. Das war mir aber vorher nie so bewusst. Erst in Istanbul habe ich diese Stärke bewusst wahrnehmen und benennen können. Außerdem konnte ich die Türkei für mich entdecken und kennen lernen. Ich habe jetzt meine eigenen Erfahrungen dort gemacht und mir mein Bild geschaffen. In Istanbul haben Leute oft zu mir gesagt: “Ach, dein Herz schlägt aber türkisch.” Jetzt kann ich damit etwas anfangen und mich darüber freuen.
Überlegst du, auch für längere Zeit, wieder nach Istanbul zurück zu kehren?
Filiz: Warum nicht? Die Möglichkeit besteht auf jeden Fall. Die Kulturszene ist groß, wer weiß, was dort noch auf mich wartet. Aber das wird sich zeigen.
Vielen Dank für das Gespräch, Filiz.
Mehr Bilder der Fotoausstellung des International Changing Perspectives Short Film Festivals sind hier zu finden. Zu einem Interwiew mit einer weiteren Fotografin der Ausstellung, Maximiliane Schneider, geht es hier.