Was mache ich, wenn mir eine verwundete Katze in Istanbul über den Weg läuft? Oder wenn in einer Ecke ein abgemagerter, schwacher Hund liegt? Viele Menschen in Istanbul stellen sich diese Fragen und wollen den Straßentieren ihrer Stadt helfen, aber wissen nicht wie. Gerade neu Zugezogenen fällt die problematische Situation in der Metropole auf, doch sie haben noch nicht das Netzwerk oder die Anschlussmöglichkeiten, um Hilfe leisten zu können. Dabei gibt es in Istanbul viele Einzelinitiativen, kleinere Plattformen, Organisationen und Anlaufstellen, wie Tierarztpraxen oder die Bezirksverwaltungen, die sich regelmäßig um Tiere in Not kümmern – man muss sie nur ausfindig machen.
Christian Feiland, der nun seit knapp 20 Jahren in Istanbul lebt, hat zusammen mit seiner Frau Ceyda ein ehrgeiziges Projekt in Gang gebracht: “Vor zwei Jahren gründeten wir die Plattform KırıkKuyruk – Knickschwanz”, erzählt er. “Wir wollten ein Netzwerk etablieren, bei dem es möglich ist, Organisationen und Einzelpersonen schnell zu finden, die gezielt Hilfe leisten können. Nehmen wir an, jemand findet eine verwundete Katze, hat aber keine Möglichkeiten, diese zu transportieren. Auf unserer Plattform kann er sich dann einloggen, seine Location angeben und damit sehen, welcher Tierfreund oder welche Plattform in seiner nächsten Umgebung Transportmittel bereitstellt.” “Falls sich jemand um ein Kätzchen kümmert, das noch Muttermilch braucht, kann das auch auf KırıkKuyruk gemeldet werden. Vielleicht gibt es jemanden, der die lebensnotwendige Milch gerade da hat.”, ergänzt Ceyda. “Es gibt so viele Menschen, die sich um die Tiere kümmern. Sie wissen nur nichts voneinander.” Die Webseite mit integrierter Online-Map ist nun fertig. Registrieren kann man sich innerhalb einer Minute kostenlos und gleich das, was man bietet oder sucht via Online-Kleinanzeige eingeben. “Der Gedanke hinter der Plattform ist, Tierfreunde dabei zu unterstützen, schnell und gezielt an Ort und Stelle anzupacken”, sagt Christian. Deshalb gibt es neben der Verortung von einzelnen Engagierten und Organisationen auch Charts und Videos, die zeigen, wie man richtig helfen kann. Denn: Helfen muss gelernt sein. Wir haben Christian und Ceyda nach den wichtigsten Erste-Hilfe-Regeln gefragt.
Was sollte man tun, wenn Katzenbabies allein auf der Straße liegen? Kann man sie mitnehmen, um ihnen ein Zuhause zu bieten?
Christian: Zuerst einmal ist es besser, die Babies nicht anzurühren und zu beobachten, ob sich die Mutter in der Nähe herumtreibt. Manchmal können diese für 30-60 Minuten zur Nahrungssuche unterwegs sein . Deshalb: Nicht sofort zugreifen, womöglich reißt man sonst eine intakte Familie auseinander! Katzenbabies sollte man nur mitnehmen, wenn man sicher ist, dass diese wirklich in Not sind. Und dann ist es generell wichtig sich selbst zu fragen: Kann ich mich langfristig um eine Katze kümmern? Das Schlimmste für die Tiere ist, nach der Gewöhnung an den Menschen wieder ausgesetzt zu werden. Zurück in der städtischen Wildnis haben sie meist keine Überlebenschance mehr.
Ceyda: Das Zuhause muss für die Katze auch passend sein. Sie soll sich darin wohl fühlen. Kann sie nicht raus und ist sie oft alleine, so ist es unter Umständen sogar besser, sich zwei Katzen anzuschaffen.
Was kann man tun, wenn man ein verwundetes Tier auf der Straße sieht?
Christian: Ganz wichtig ist es, vorsichtig zu sein und die Situation gut einzuschätzen. Katzen zum Beispiel können, wenn sie panisch sind, aggresiv werden und dem Helfenden schwere Verletzungen zufügen. Infektionen, die solche vermeintlich harmlosen Schrammen mit sich ziehen können, sind gefährlich. Vor Tollwut muss man im Stadtinneren eigentlich keine Angst haben, aber auch so sind die Bakterien, die Katzen oft bei Bissen übertragen, sehr infektiös. Deshalb: Immer Handschuhe dabeihaben oder mit einer Katzenfalle arbeiten. Bei Hunden ist es komplizierter. Hier gibt es einige Stadtverwaltungen, die Tierambulanzen anbieten und Transportfahrzeuge zur Verfügung stellen.
Wie kann man sich sonst noch für Tiere in Not engagieren?
Christian: Die Liste der Möglichkeiten ist endlos. Man sollte sich immer an Menschen mit Erfahrung wenden, damit man “richtig” hilft. Erfahrene Menschen, Plattformen oder Hilfsanweisungen kann man im Internet, vor allem über die sozialen Medien finden. Auch in der Nachbarschaft kann man sich einfach mal umhören. Das Ziel unserer Plattform ist es, innerhalb kürzester Zeit einen Überblick zu verschaffen, um schnell an die richtigen Adressen zu kommen. Wir selbst suchen immer nach engagierten Freiwilligen, die Lust haben, KırıkKuyruk mit uns weiter zu gestalten, zum Beispiel indem sie sich als Helfer eintragen oder sogar in Lehrvideos ihre Erfahrungen teilen. Vielleicht kommen dadurch schon Kooperationen unter Tierfreunden zustande.” Ein weiteres Projekt von KırıkKuyruk ist es, eine englische Version der Seite für aus dem Ausland Zugezogene herauszubringen. Momentan gibt es sie nur auf türkisch, mithilfe von Google Translate kann man allerdings die wichtigsten Informationen erst einmal bekommen.
Ceydas und Christians Ziel ist es, die frisch erstellte Datenbank von KırıkKuyruk auszuweiten und sie publik zu machen, sodass sich Helfer registieren und miteinander in Kontakt treten können. Christian findet: “Man kann nie unterschätzen, wie viel jede noch so kleine Hilfe bringt.” Wenn jeder einen kleinen Beitrag leisten würde, könnte man die Situation der Straßentiere in Istanbul erheblich verbessern. “Am idealsten wäre es, wenn es in jeder Straße eine Person geben würde, die sich für die Tiere dieser Straße verantwortlich fühlt und sich um sie kümmert – das ist das Ziel, worauf wir mit KırıkKuyruk hinarbeiten wollen.”, erzählt Ceyda. Mit dem gebündelten Engagement vieler Einzelpersonen und ihren Plattformen in Istanbul könnte dieser Traum der Realität vielleicht ein bisschen näher gebracht werden.
Text: Marie Hartlieb
Bilder: Maximiliane Wittek, aus der Fotoreihe A.C.A.B. (All cats are beautiful)
Redaktion: Yasemin Bodur