Wir arbeiten gemeinnützig. Wenn ihr Maviblau unterstützen möchtet, dann schaut mal hier!
SONY DSC

Durch die Nacht mit dem Berlkönig

Eine Fahrt mit der Schwester vom Dolmuş

Überall in Berlin tauchen sie auf: die neuen schwarzen Minibusse mit den auffälligen BVG-Details. Berlkönig ist ein neuer Player im großen Berliner Puzzle des öffentlichen Nahverkehrs. In dieser Nacht werden wir, drei Berlin/İstanbul-Verliebte, unsere erste Fahrt wagen. Ist der Berlkönig vielleicht die kleine Schwester vom türkischen Dolmuş?

Nachdem wir es nicht geschafft haben, uns in derselben U-Bahn Station zu treffen, startet unsere Nacht so:

Rebecca: Eren, bist du schon am Hermannplatz?
Eren: Du hattest Kotti gesagt!
Rebecca: Ehm, eigentlich nicht, Hermannplatz dachte ich.
Eren: Du sagtest Kotti 🙂
Rebecca: Mist, falsche Station. Wo ist Fatima?
Eren: nicht hier 🙂
Rebecca: Also, ich hab sie angerufen und sie ist auf dem Weg. Ich komme zum Kotti, lass uns einfach da treffen.

Am Ende finden wir uns im Herzen Kreuzbergs wieder, im Südblock mit direktem Blick aufs Kottbusser Tor. Kein einfacher Start, aber zumindest haben wir uns gefunden. Zuerst brauchen wir einen Plan. Also sitzen wir zwei Stunden später immer noch im Südblock.

Während der Dolmuş an den Verkehrsknotenpunkten İstanbuls wie dem Ufer von Kadıköy auf Passagiere wartet, sind in Berlin erstmal wir die Wartenden. 15 Minuten dauert es, bis unsere erste Fahrt Richtung Prenzlauer Berg losgeht. İsmet Abi hat vor 3 Wochen angefangen, für den Berlkönig zu arbeiten. Die türkische Unterhaltung im fast leeren Auto kreiert eine Atmosphäre wie im Dolmuş – davon abgesehen scheint es wenig Ähnlichkeiten zu geben.

Berlkönig ist ein neues Transportsystem in Berlin und eine Kooperation zwischen BVG und ViaVan. Vor einer ersten Fahrt muss die neue Berlkönig-App runtergeladen werden. Auch die Bezahlung läuft über dieses System. Danach ist es möglich, einen von 300 Minibussen zu benutzen –  jedoch nur innerhalb eines bestimmten Gebietes in Berlin.

„Du kannst nicht einfach deine Hand heben“

İsmet Abi fährt ruhig und sicher durch die Berliner Nacht, während er uns seine Berlkönig-Eindrücke schildert. Für ihn sind der türkische Dolmuş und der Berliner Berlkönig weit entfernte Verwandte – wenn überhaupt. Er kommt ursprünglich aus Ankara und kennt das türkische System gut. „Du kannst nicht einfach deine Hand heben und einen Berlkönig anhalten“, sagt er. „Wir haben keine festen Routen, man muss seinen Standort auf der App angeben und wir kommen dann zur nächsten Ecke oder Platz.“ Ein Computerprogramm stellt die schnellste Route für die jeweiligen Startpunkte zusammen. İsmet Abi erzählt uns, dass aktuell an jeder Ecke und um jede Zeit Passagier*innen auf ihn warten. Nach nur vier Monaten scheint das System etabliert. Auch deswegen plant die BVG den Ausbau und will mit mehr Fahrern das gesamte Stadtgebiet abdecken.

Nachdem wir an unserem Zielpunkt gelangt sind, gibt İsmet Abi Eren noch schnell seine Telefonnummer, nachdem er hörte, dass dieser erst seit 4 Monaten in Berlin ist. Eren könne ihn anrufen, wenn er irgendwie Hilfe im gurbet bräuchte.

Es begann während der Weltwirtschaftskrise

In İstanbul fahren aktuell etwa 7.000 Dolmuşlar auf 150 festen Routen. Täglich nutzen circa 2 Millionen Menschen das Transportmittel. Alles begann 1929 während der weltweiten Wirtschaftskrise. Die Passagier*innen organisierten sich aufgrund des fehlenden öffentlichen Nahverkehrs in der jungen türkischen Republik einfach selbst. Später entwickelten sich zwei Teilsysteme. Der Minibüs ist meistens blau und transportiert bis zu 25 Personen auf einer festgelegten Strecke. Hierbei nimmt er an fast jeder Ecke neue Mitfahrer*innen auf. Das zweite System, Sarı Dolmuş, ist meist gelb und kann lediglich 8 Personen transportieren. Im Gegensatz zum blauen Dolmuş fährt er von einem festen Startpunkt zu seinem Ziel und nimmt auf der Strecke meist keine neuen Passagier*innen auf.

Unsere zweite Fahrt führt uns nach Friedrichshain in die nächste Bar. Hassan Abi ist ursprünglich aus Recklinghausen und Schalke-Fan. Er begann im vergangenen Oktober, Berlkönig zu fahren und ist somit ein Fahrer der ersten Generation. „Am Anfang mussten wir noch auf Fahrgäste warten“, erzählt er. Manchmal warteten er und seine (meist männlichen) Kolleg*innen sogar eine Stunde. Aber diese Zeit ist definitiv vorbei, heute könne er auf niemanden mehr warten. Fünf Minuten seien das absolute Maximum, da der nächste Gast meist schon warte – der Zeitdruck sei gestiegen.

Überfüllung ist in Berlin ausgeschlossen

„Eigentlich sind alle nett und angenehm. Wer mitfährt, ist etwas abhängig vom Tag und der Zeit“, sagt Hassan Abi. „Unter der Woche sind es meist Leute im Feierabend, die vom Büro schnell nach Hause wollen. Am Wochenende das klassische Partyvolk.“ Und klar, irgendwie sei diese App-Sache schon etwas kompliziert. Diesen Eindruck hatten wir auch schon. Anders als im türkischen Dolmuş kann man im Berlkönig nicht Bar bezahlen. Wie auch die Buchung ist jeder weitere Schritt (Registrierung, Bezahlung, Koordination) elektronisch. Die Karte zeigt an, welcher Fahrer aktuell verfügbar ist, wer der Fahrer ist und wie viele Plätze vorhanden sind. Überfüllung ist ausgeschlossen.

Nach unserem zweiten Halt in Friedrichshain löst sich unsere Expeditionsgruppe langsam auf. Wir gehen Richtung Warschauer Straße und wollen nach Hause fahren, wieder mit den klassischen öffentlichen Verkehrsmitteln. Ein Blick auf die Anzeigetafel zeigt, warum der Berlkönig jetzt schon so beliebt ist: 26 Minuten, bis die nächste U-Bahn kommt. Nachdem Eren – der als einziger die App heruntergeladen hat – uns bereits verlassen hat, nehmen Fatima und ich das nächste Taxi und vermissen den Berlkönig bereits jetzt.

Berliner Taxifahrer*innen haben sich bereits über die neue Konkurrenz beschwert. Zumindest in İstanbul scheint es so, als gäbe es eine friedliche Koexistenz. Denn die 7.000 Dolmuşlar können immer noch keine 18.000 Taxis in İstanbul ersetzen. Eine friedliche Koexistenz ist somit möglich.

Text
Rebecca Meier und Eren Erdoğan

Bilder
Fatima Spieker


Was es neben dem Dolmuş in İstanbul noch so für Wege gibt, durch die Stadt zu kommen und warum jedes Verkehrsmittel seine besondere Eigenart hat, lest ihr hier.