– Yasemin Bertel
Yasemin Bertel schreibt in ihrem intertextuellen Gedicht vom Treiben zwischen Erinnerungen, Herkunft und Ankunft. Die Bilder, die sie malt sind eine Reminiszenz an ihre Zeit als Kind, das zwischen Zu- und Unzugehörigkeit heranwächst.
Ich bin aus dem Wunsch meiner Mutter, den ihr mein Vater einpflanzte,
Bin zwischen versäumten Vorlesungsstunden und den knapp über Wasser haltenden Minijobs hervorgekrochen,
Bin aus dem Liebesluftschloss zweier,
die nicht zusammengehören durften, – neugierig und viel zu früh.
Ich komme aus dem Sommerkleid aus Geldsorgen und Liebestrunkenheit.
Bin aus der 40 qm Wohnung aus der Rentner*innengegend,
wo die Bahn über die Dächer der Stadt gleitet.
Bin aus der Reisetasche, die von oben nach unten,
von Schwarzbrot zu somun ekmek abgeladen wurde,
Immer in Bewegung,
Immer nicht angekommen,
Aber immer
Da.
Ich bin aus Wir-sehen-uns-am-Wochenende mit Überstunden und Augenringen.
Ich bin oben von Instant-Tomatensuppe
und der kleine Sandmann.
Und unten von yeşil mercimekli bulgur pilavı,
das wir mit unseren Fingern und frisch genässtem yufka aßen
und Şaban in Endlosschleife.
Bin aus den blauen Stunden,
Wo Stimmen immer größer wurden
Und ich immer kleiner.
Bin von hier
aus meinem Körper.
#herkunft
#unzugehörigkeit
#kindheitserinnerung
Somun ekmek: Türkisches Weißbrot
Yeşil mercimekli bulgur pilavı: Bulgur mit grünen Linsen
Yufka: Sehr dünnes Fladenbrot, das auf Vorrat gebacken, danach aufeinander gestapelt, kühl und trocken gelagert wird. Zum Verzehr wird das yufka mit Wasser besprenkelt, damit es weich wird.
Şaban: eine humoristische Kultfigur des türkischen Films, die vom Schauspieler Kemal Sunal zwischen 1975 und 1995 verkörpert wurde.