– Hoda El-Sharkawy
Ich komme aus dem da drüben.
Ich bin daher, wo du gern hinwillst, aber das… dann schon noch anders ist.
Also anders, als dein von dir aus anders.
Anders: Ich komme von da, wo der Express fährt. Der mit dem großen O.
Kommst du noch mit?
Ich komme von Anfang, am Ende, aus der Mitte, da vorne, wo das Wasser nass ist und der Himmel blau, von der einen und dann der anderen Seite und dann kommen wir zusammen und du- kommst du noch mit?
Ich komme eben da her, weil meine Ahninnen immer gehen und dann kam ich halt mit, bis alle kurz: STOP! rufen, weil es nicht weitergeht.
Aber weil alle ihr Gesicht gen einem anderen Stern im Himmel richten und weil alle verschiedene Sprachen sprechen, hat niemand das STOP so richtig verstanden und darum komme ich aus einem Stückchen weiter, als die anderen. Und es waren nicht alles Sterne oder gar Sternschnuppen.
Ich komme aus dem letzten lauten STOP und bin dann in die Welt geplumpst.
Das Flugzeug flog, die Bomben bombten und ich – ich zählte noch meine Zellen, bis sie dann genug waren und ich STOP rief und es PLOP machte.
Ich komme schon sooooo lange da her und du stehst da noch so rum und guckst, als wärst du der erste Mensch.
Ich komme von da, wo viele herkommen und manche nicht mehr zurückkommen, dort, wo alle eine Sprache sprechen und sich nicht verstehen, sich kurz angucken und sagen: Komm in meine Arme. Hier, hier bin ich: Ich bin ein Stück Heimat und Zukunft, ruh dich, wenn du möchtest, ein wenig aus, mein Kind.
Ich komme von dort, wo das Parfüm ein Öl-Fläschchen mit dem Namen: Großmutter ist.
Ich komme von der Farbe, die im Sonnenlicht heller als die Sonne selbst scheint.
Du kommst da nicht mit, ich sehe das: du stehts, fest angewurzelt und kommst nicht weg, du bist ja da wo du her bist.
Und ich rausche an dir vorbei, denke dir noch ein paar Präpositionen aus, hier, da schlag deinen Deutschhefter aus der 5. Klasse auf und siehe: So rase ich, ein Ploton, überall.
Ich weiss, du stehst da nicht drauf. Ich lade dich nicht ein. Du gibst mir nicht die Hand, du steckst deinen schmutzigen, salzigen Finger in meine Geschichte, stellst dich und hin und fragst: Woher kommst du?
Ich komme da her wo Großeltern im Himmel leben, da wo Sterne den Weg weisen. Da her, wo reife Datteln auf den Boden fallen und kleine Hände sie aufsammeln. Die Läden öffnen am Nachmittag und schließen erst, wenn die letzte süße Zitronenlimonade verschenkt ist. Nimm, Schwester, wir schmeißen nichts weg.
Der Publikumsraum verdunkelt sich langsam. Das Bühnenlicht fährt wie eine entspannte Atmung hoch.
Halva tritt vor dem Vorhang auf.
Der Vorhang öffnet sich, als Halva steht.
Hinter Halva, unzählige Spiegel.
Halva:
Der älteste Trick. Ein Spiegel. Das ist keine Metapher.
Ich bin keine Rolle. Wir spielen nicht, kein Spiel, keine Schau.
Ich komme nicht vor, ich bin.
Sie fragen noch immer: Woher? Ich: bin.
Halva stellt sich mit dem Rücken zum Publikum und spricht in den Spiegel.
Ich komme daher, wo mir die Sprache im Halse stecken bleibt, da, wo die Sprache nur gehört und nicht gesprochen wird- kennen Sie das?
Wer will ihre Sprache nicht mehr sprechen? Wer weigert sich, bis ans Lebensende Ihre Sprache zu sprechen?
Ich kann meinen eigenen Namen nicht aussprechen.
Ich komme da her, wo Brüder sterben und Onkels sich rächen, wo der Staat überwacht und alte Männer ihre eigenen Familien in die Flucht treiben.
Wer floh vor Ihrer Familie? Wer floh aus ihrer Familie?
Meine Eltern und meine Großeltern flohen oder wurden vertrieben.
Ich komme daher, wo Kinder nachts ins Bett nässen, auch wenn sie in Sicherheit sind, aber da wo die Großeltern waren, wo sie auch hätten sein können, da ist es – anders.
Haben Sie auch ins Bett genässt, weil sie Angst vor den Nachrichten hatten?
Wann haben Sie aufgehört? Ich war 9.
Ich komme da her, wo Mütter und Schwestern zu früh zu alt wurden.
Ich kümmere mich um sie. Ich halte inne. Ich umarme mich, und sagen ihnen: Ich bin jetzt hier, wir kommen an. Irgendwann. Inshallah.
Halva hält inne. Ihr Nacken entspannt sich. Ihre Wangen kribbeln warm.
Es ging nie um mich.
Es ging immer schon… um Sie.
Sie weinen nicht, Sie schreien nicht, Sie nässen nicht ins Bett, Sie schämen sich nicht für Ihr Essen,
Sie umarmen ihre Eltern oder geben Ihren Großeltern einen Kuss und sagen: Bis morgen!
Halva wendet sich der inneren Familie zu, liebevoll, schützend, in ihrer Welt, ganz auf sich selbst konzentriert.
Ich sage, weißt du noch, gestern?
Ich bin da, alles ist gut, ich bin da, alles ist gut….
“Woher kommst du?”
Halva bleibt bei sich, als hätte sie sich ein Räucherstäbchen angezündet. Einatmen. Ausatmen.
Woher ich komme.
Sie gehen, ich bleibe.
Der Vorhang wird fallen, es wird Applaus geben, ein Gläschen Wein, Orangensaft für mich, Feierabend.
Die Party+… die ist für Sie. Die Bühne…ist endlich Ihre.
Musik: Non je ne regrette rien
#desintegration
#theater
#selfie