Ein prunkvolles Haus am Bosporus mit weitem Blick auf die zweite Bosporus-Brücke, unter der das glitzernde Wasser Sonnenspritzer auf die Pupillen wirft; hier sind wir eingeladen zu Kaffee und Keksen, um einige Mitglieder des Vereins Die Brücke e.V. kennen zu lernen. Gemeinsam sitzen wir um einen großen Tisch in gemütlicher Runde und sechs Frauen erzählen uns ihre persönlichen Geschichten – eine spannender und interessanter als die andere. Und wir bekommen Einblicke in eine andere Zeit: Die Türkei in den 60ern mit blutiger Revolution, Ausgangssperre und Militärputsch in den Achzigern, die unbeschreibliche Solidarität der Menschen nach dem Erdbeben 1999, heimliche Verlobungen, Reisen um die Welt, beinahe Staatsangehörigkeitsentzüge durch damalige Regelungen und Tanzen auf Oktoberfesttischen in Ankara. Die Geschichten sprühen wie Feuerwerkskörper um uns herum und uns schlackern die Ohren von einer solchen Masse und Tiefe an Erlebtem. Aber fangen wir von vorne an.
Die Brücke e.V. ist…
… der erste deutschsprachige Verein Istanbuls. Durch sein monatliches “Brückeheft” dokumentiert und prägt er das Leben der deutschsprachigen Community in Istanbul. Neben Informationen zu Gesetzesregelungen für Ausländer, anstehende kulturelle und künstlerische Veranstaltungen, und Kommentare und Kolumnen über das tägliche Leben als Ausländer in der Türkei, werden außerdem (Über-)lebenstipps an den Mann und vor allem an die Frau gebracht. Auf der Webseite finden sich außerdem weitere Updates und Jobangebote in Istanbul für Deutschsprachige. Auch MAVIBLAU ist durch regelmäßig erscheinende Artikel Teil des Brückeheftes. Dieses Heft ist der Dreh- und Angelpunkt des Vereins, doch noch längst nicht alles. Diverse Veranstaltungen, wie Lesungen, Vorträge, Ausflüge usw. werden organisiert und an die Leserschaft getragen.
Der Ursprung des Vereins…
… begann mit der Suche der Gründungsmitglieder nach einer deutschsprachigen Lobby, die die Rechte von Ausländern vertritt und sich für bessere Umstände einsetzt. 1989 fanden sich die Gründungsmitglieder Brigitte Midil, Christine Şenol, Claudia Yılmaz, Etta Şişmanyazıcı, Gabriele Sailer, Hedy Johannsen und Uschi Akın zusammen. Sie alle waren deutschsprachige Frauen, manche von ihnen waren ihren Männern nach Istanbul gefolgt, andere landeten der Arbeit wegen dort, und bald merkten sie, wie eingeschränkt ihre Rechte als ausländische Frauen waren. Christine Şenol, Vorsitzende des Vereins, kam 1975 im Rahmen ihrer Arbeit bei einer Hotelkette das erste Mal in die Türkei und berichtet uns davon, wie schwierig es damals war sozialen Anschluss zu finden. Von einer Arbeitserlaubnis ganz zu schweigen. Auch Claudia, stellvertretende Vorsitzende, die 1974 in die Türkei kam, hat Anekdoten zu erzählen: “Als mein Mann mein Auto auf mich anmelden ließ, bekam es eine ‘Ausländerplakette’; mit dieser war ich dann sozusagen markiert.” Und Brigitte, die schon 1961 in die Türkei kam, spricht von den Strapazen der Staatsangehörigkeit und Visaproblemen zur damaligen Zeit. Nur durch einen Zufall – das Ankreuzen der richigen Antworten im Konsulat – behielt sie ihre deutsche Staatsbürgerschaft. Andere verloren diese durch undurchsichtige Regelungen. Bis heute kämpft Brigitte regelmäßig für die Visa ihres Sohnes zur Einreise nach Deutschland. Er bekam nie einen deutschen Pass, da sein Vater Türke ist. Die Frauen bildeten eine Solidaritätsgemeinschaft. Und begannen, anfangs auf der Schreibmaschine, Briefe zu verfassen, die das deutschsprachige Leben dokumentierten. So entstand das Brückeheft und so entstand 1991 auch der Verein, der im darauffolgenden Jahr ins türkische Vereinsregister eingetragen wurde.
Tätigkeiten der Brücke heute
Heute ist der Schwerpunkt der Brücke ein anderer. Die Zeiten haben sich geändert, Deutschsprachige bilden schon im Internet eine Community, man findet sich, tauscht sich aus, unterstützt einander – zum Beispiel durch das Weitergeben von Informationen – im Sekundentakt online. Auch die Brücke hat eine Facebook-Seite, die aktiv für diese Art von Austausch genutzt wird. Die große Stärke des Vereins ist ihr stetig wachsendes Netzwerk, dessen Mitglieder sich durch Ideen und Aktionen selbst einbringen. Im Rahmen der Brücke wurden schon Krabbelgruppen gegründet und Elternkurse durchgeführt. Heute werden weiterhin Events, wie Stadtspaziergänge und Museumsbesuche organisiert. Abhängig davon, was den Mitgliedern wichtig ist, und wofür es in der Community Bedarf gibt. Das Brückeheft, zusammengestellt und herausgegeben von der Leiterin des Brücke-Büros, Petra Can, ist materialisierter Umschlagspunkt dieses Austausches und der Organisation und gleichzeitig Sprachrohr der deutschsprachigen Community.
Die Brücke versteht sich elementar als Plattform, die Menschen miteinander verknüpft und Nachrichten, Informationen und Neuigkeiten an ihr Netzwerk – die Mitglieder, über 700 sind es – verteilt. “Bei uns ist jeder willkommen, sich mit Ideen und Projekten, sogar Veranstaltungen einzubringen”, erzählt Christine. “Wir wollen die Menschen verbinden”.
Möglichkeiten, sich selbst einzubringen…
…gibt es natürlich, doch eher punktuell als kontinuierlich, da das Büro der Brücke von Zuhause aus betrieben wird. Dennoch ist jede und jeder – “Wir sind kein Frauenverein, auch Männer sind willkommen”, betonen die Frauen – willkommen, Mitglied zu werden, an Veranstaltungen teilzuhaben, Input zu geben, von dem Netzwerk und dem Wissen des Vereines zu profitieren und selbst ein Teil dieser außerordentlichen Gemeinschaft zu werden. Da der Verein sich unter anderem auch mit Fragen der Frauenrechte und bikultureller Kindererziehung auseinandersetzt, finden vorwiegend verheiratete Frauen über dreißig ihren Weg in die Brücke. Annette und Margot, zwei neuere Mitglieder der Brücke, haben als “Mitreisende Ehefrauen”, ein Terminus für Ehegattinen von Männern mit reisefreudigen Berufen, ihren Weg zur Brücke gefunden. Nach Peru, Moskau, Tokio und Shanghai, haben sie sich in Istanbul der deutschsprachigen Lobby der Brücke anschließen können. Nichtsdestotrotz wirbt die Brücke auch um jüngere Mitglieder. Erfahrung, Geschichten und Kontakte haben sie in Fülle weiterzugeben.
Lustige Momente bei der Brücke…
…gibt es natürlich zuhauf. Brigitte erinnert sich an eine Zeit direkt nach der Gründung der Brücke. Damals bot jedes Mitglied eine Aktivität an. Sie selbst entschied sich dafür, einen Kurs in Mogel-Batik – “Die richtige Batik war zu schwierig”, sagt sie – anzubieten. Mindestens 15 Leute kamen zu der Aktivität aus ganz Istanbul vorbei. Da Batik mit mehreren Spülgängen verbunden ist, war das Wasser elementarer Bestandteil der Aktivität. Doch als man sich dann die Hände schmutzig/bzw. wässrig machen wollte, gab es, wie so öfter mal in Istanbul, kein Wasser mehr. Und da saßen die Teilnehmer nun wirklich im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Trockenen. Der Batik-Kurs hatte sich für den Tag erledigt. Annette erzählt von einem Ausflug zum Deutschen Generalkonsulat nach Ankara: “Dort hatte man das Oktoberfest organisiert. Ich selbst komme aus dem Rheinland und war noch nie auf dem Oktoberfest. Und so machten wir uns auf die Reise nach Ankara. Und ich erinnere mich sehr gut an das ausgelassene Tanzen auf den Tischen, insbesondere von einem Brücke-Mitglied!”, erzählt sie lachend. Das Tanzbein schwingen auf den Tischen des Oktoberfestes in Ankara im Herbst eines vollen Lebens zwischen Deutschland und der Türkei. Ein Bild, das selbst im Kopf sehr viele bunte Feuerfunken sprüht.
Für weitere Organisationen, Vereine und Plattformen, die sich mit dem deutschsprachig-türkischen Austausch beschäftigen, schaut euch unsere MAVI-Map an und klickt euch durch die Marker.
Text: Marie Hartlieb
Bilder: Sabrina Raap
Online-Map: Mert Barış