Sinan Köylü und Tim Zeimet bilden offiziell seit 2019 gemeinsam das deutsch-türkische Indie-Pop Duo SINU. Jenseits von gängigen Sprachklischees machen die beiden klangvolle Musik, in der Themen von Liebe bis zu Rassismuskritik angesprochen werden. Bei einem Telefonat erzählen die beiden von ihrem neuen Song „Salzwasser“.
Maviblau: Worum geht es in eurem neuen Song „Salzwasser“ und was hat euch dazu inspiriert, über Salzwasser zu singen?
Sinan: Es geht um dieses schwebende Gefühl der Vergänglichkeit, diesen so ganz momentanen Eindruck davon, wie das Leben und die positive Emotion im Leben einen auf einmal übermannen, so ein bisschen überfluten. Es ist ehrlich gesagt ein Song, der zum ersten Mal auch ziemlich literal, also wörtlich, gemeint ist. Trotzdem ist er kunstvoll und metaphorisch. Der Grundgedanke ist, dass der Song diesen Moment einzufangen versucht, in dem man so bisschen müde und trotzdem übermannt vom Glück auf dem Meer floated, wenn man sich auf den Rücken legt und versucht, sich ohne Bewegung einfach so treiben zu lassen. Das haben wir lustigerweise ja auch im Video gemacht, genau in dem Gemütszustand. Wir waren sehr glücklich und gleichzeitig auch emotional total fertig und müde.
Tim: Salzwasser gibt einem ja so ein Auftreiben, ein geborgenes Gefühl. Es trägt einen ja wirklich viel besser als normales Wasser. Selbst wenn man gerade keine Kraft mehr hat, fühlt man sich geborgen und sicher und das ist ein Gefühl, das man auch gerne mit einer Person teilen möchte.
Heißt das, ihr hattet die Idee dazu beim Treiben im Salzwasser?
Sinan: Ne, das war so, dass ich im Oktober 2020 in Istanbul war und da auf einer Terasse saß und so eine Gitarrenmelodie im Kopf hatte: Dieses Hauptriff, das man im Song auf der Gitarre hört. Ich habe es so vor mich hingespielt, ohne was dabei zu denken, und dann habe ich dieses Geräusch von Schiffshörnern gehört. Das hat irgendwie total krass harmoniert. Ich hatte diesen ganz maritimen Eindruck. Das erste, das mir in den Sinn kam, als ich dieses Gitarrenriff gespielt hab und aufs Meer geguckt hab, war echt dieses „Weiß doch jeder, auf Salzwasser schwimmt es sich leichter“. Das war genau so einfach direkt da und es waren auch ein paar türkische Worte direkt da: suya (zum Wasser). Mir war total klar, dass da das Wort su (Wasser) drin vorkommen muss. Dann habe ich das in mein Handy in die Sprachmemos eingespielt und Tim geschickt. Wir fanden die Idee eigentlich total süß und schön und wollten auch daran weiterarbeiten, aber ich glaube wir haben sie dann locker über ein halbes Jahr bis Jahr völlig vergessen. Und dann gab es eine Zeit, da haben wir uns zur Challenge gemacht, täglich einen Song, eine Demo zu produzieren, einfach so von null an. Und ich konnte auf jeden Fall an diesem einen Vormittag nicht, weil ich irgendwas zu tun hatte, und dann kam ich hier in unser Büro und Tim und unser Freund Leon, mit dem wir manchmal produzieren, hatten an dieser Nummer, die einfach schon vergessen war, angefangen zu arbeiten. Ich fand das mega geil. Hinten raus wird „Salzwasser“ ja sehr episch und erhaben und da klingt es ja wirklich, als würde die Welt über einem zusammenbrechen. Dieses Grundgefühl hatten Tim und Leon voll rausgeholt aus dieser kleinen Idee. Und das war so der Moment in dem wir gesagt haben: Okay, das produzieren wir im Studio, das hat richtig Energie, das wollen wir.
In euren Videos, auch in den vorherigen schon, habt ihr ja immer wieder Sequenzen, in denen man euch sieht, wie ihr still in der Umgebung verharrt. Im Video zu „Salzwasser“ ist in fast jeder Szene zu sehen, wie ihr relativ statisch in der Umgebung steht, während sich der Hintergrund um euch herum leicht bewegt. Wie seid ihr zu dieser Ästhetik gekommen?
Sinan: Bei dem Video zu „Salzwasser“ haben wir ganz viel mit Landschaft, natürlicher Beleuchtung und ohne Crew gearbeitet. Das war wirklich nur unsere Freundin Annika, die gefilmt hat, und wir zu dritt, die ideell dahinterstanden. Dadurch mussten wir eine Kontinuität im Video erschaffen und die passiert halt durch uns beide. Es ist anmutend wie viele unserer Videos, aber noch einmal anders – ein bisschen theatermäßig, ein bisschen installationsmäßig. Die Kontinuität passiert dadurch, dass da eben diese Fixpunkte im Bild sind, die dem auch diesen menschlichen Charakter, diese potenzielle Geschichte verleihen. Es war aber echt so, dass wir gesagt haben, wir wollen kein Schauspiel, kein Acting.
Tim: Es passte auch nicht, wir wollten den Landschaften, die ja unfassbar schön sind, auch den Raum geben, dargestellt zu werden. Wenn man die ganze Zeit im Bild rumrennt und irgend etwas krasses macht, dann verschwimmt das ein bisschen. Und ich finde auch, dass – jetzt kommen wir wieder zu dem Thema, dass Salzwasser Auftrieb und Stabilität gibt – so eine Statik im Video wichtig ist. Dieses Gefühl von Auftrieb und Salzwasser und diese Schwerelosigkeit kann eigentlich nur dargestellt werden, indem man etwas statisches darstellt. Und wenn da extrem viel Bewegung stattfindet, lenkt das eher vom Song und vom Inhalt ab und auch von den Landschaften.
Sinan: Wir haben uns ganz bewusst gegen eine Story entschieden und was auch interessant ist, ist, dass im Video nur eine einzige Einstellung gibt, von der wir schon vorher wussten, dass wir sie drehen wollen – die mit den Solarpanels. Den Ort wollten wir auf jeden Fall. Die anderen Orte und viele der Einstellungen, die unfassbar geil geworden sind, sind uns durch Schicksal oder Zufall auf dem Weg zu anderen Orten begegnet. Es sind auch einige Orte meiner Kindheit mit drin, was extrem schön ist. Tim war jetzt zum zweiten Mal mit da, Annika zum ersten Mal in der Türkei und wir haben an super vielen Orten, die ich schon lange kannte, nochmal ganz ganz neue Aspekte entdeckt. Das ganze Konzept des Videos ist ja, in eine Landschaft fast meditativ in die Einzelheiten reinzuschauen: Dieser analytische Blick, Dinge von ganz nah zu betrachten und mit so einer Gründlichkeit in den Blick zu nehmen, die einem immer neue Details offenbart. Das ist beim ganzen Prozess auch genau so gewesen. Das schöne an diesen Plätzen, die wir aufgenommen haben, ist, dass überall menschliche Spuren sind. Menschen haben durch Technik, durch Abnutzung, durch Verkehr, Spuren hinterlassen, aber sie sind abwesend, bis auf uns beide. Es wirkt so ein bisschen, als würden wir so eine Erfahrung nacherleben. Am Ende wird alles so ein bisschen aufgelöst, wenn wir im Wasser liegen.
Sinan, deine Mutter kommt aus Deutschland, dein Vater aus der Türkei und du hast in beiden Ländern gelebt. Was bedeutet es für dich in „Salzwasser“ aber auch anderen Songs auf Türkisch und auf Deutsch zu singen?
Sinan: Das war ein Prozess in diesem SINU-Projekt. Es ging so 2016 los, dass ich das ernsthaft wahrgenommen habe und seit offiziell 2019 ist Tim dabei. Es ist noch etwas relativ Neues für mich, auch auf Türkisch zu schreiben. Ich habe immer mal Gedanken auf Türkisch aufgeschrieben oder auch hier und da mal Tagebucheinträge. Letztes Jahr haben wir „Real“ released und zu „Real“ haben wir neben der deutschen Version, die für unsere Verhältnisse ziemlich erfolgreich war, auch eine Version auf Türkisch gemacht. Das ist einfach so entstanden, weil ich morgens am Klavier auf einmal einen voll schönen türkischen Text dazu im Kopf hatte. Wir wollten die Sprachen dann nicht vermischen, weil das bei dem Song nicht gepasst hätte, deshalb haben wir lieber zwei Versionen gemacht. Bei „Salzwasser“ war das anders. Es gibt da bei uns keine Regel, wenn es in einem Song funktioniert und es natürlich passiert, die Sprachen zu mischen, ist das extrem cool. Bei „Salzwasser” ist es auch nicht so, dass das Türkische in so einer Klischee-Situation passiert, in der man es erwarten würde. Also, dass die Musik auf einmal total “türkisch” klingt – also in Anführungszeichen das, was Europäer denken, was türkische Musik ist. Es soll ganz natürlich das darstellen, was in dem Moment passiert. Leute, die nicht so einen krassen Bezug zu der Sprache haben, checken vielleicht auch erst einmal gar nicht, was das für eine Sprache ist. Ohne, dass das versteckt sein soll. „Salzwasser“ ist auf jeden Fall der Song, wo es sich zum ersten Mal ganz natürlich angefühlt hat und wir werden uns darüber hinaus auch in neuen Produktionen keine Regeln setzen. Wenn wir einen Song mal nur auf Deutsch machen oder nur auf Türkisch, dann machen wir das so. Einfach weil es vom Song her mal der Spirit der Nummer ist und mal nicht. Aber wir werden uns auch in der Zukunft nicht nur auf Deutsch und Türkisch beschränken. Wenn wir das Gefühl haben, die eine Strophe wäre auf Englisch cool oder hier ist ein französisches Wort nice, dann wollen wir das auch machen. Wir sind auch fest der Überzeugung, dass diese Sprachdogmen, die es früher so gab, nicht mehr so krass relevant sind. Das weiß der Hiphop schon lange, die Popmusik hat irgendwie noch nicht gecheckt, dass man nicht die ganze Zeit in einer Sprache unterwegs sein muss.
Wir wollen das Türkische einfach in seiner Schönheit, in seiner Wertigkeit, in der Kunst dort passieren lassen, wo es natürlich auch aus mir als Text herauskommt und wo es gut klingt in der Musik. Wir machen am Ende eh das, was wir gut finden, künstlerisch und musikalisch, und in diesem Falle war das das maximale Level an Schönheit, was lyrisch erreicht werden konnte, aus unserer Perspektive.
Tim: Ja, und das wurde ja auch nicht so geplant. Das ist ganz wichtig zu sagen, wir haben nicht vorher gesagt, lass mal nen Song machen, wo beides drin vorkommt, sondern es ist ja einfach so passiert. Und dann hatten wir keine Einwände bzw. wir fanden es genau so gut und es gab keinen Grund daran irgendetwas zu ändern. Das hat sich einfach richtig angefühlt, das kam einem natürlich vor. Es hat sich nicht so angefühlt, als würde man auf zwei verschiedenen Sprachen etwas machen.
Gibt es noch etwas, das ihr gerne loswerden wollt?
Tim: Wir freuen uns natürlich, wenn Leute den Song unter ihre Urlaubsvideos packen. Für die Leute, die jetzt in den Urlaub fahren und dann irgendwas davon posten oder an Freunde schicken wollen, ist das auf jeden Fall der Song, der unter so einem Video laufen kann, der Song für die eigene Sommer-Playlist.
Sinan: Wir freuen uns tatsächlich darüber, wenn die Leute uns sogar schicken, in welche Playlist sie den gepackt haben. Sowas zu sehen ist echt immer cool.
„Salzwasser“ landet definitiv auf meiner Playlist. Wer die beiden gerne live auf ihrer Salzwasser-Tour erleben möchte, hat dazu noch bis Mitte August die Möglichkeit. Weitere Infos dazu gibt’s hier. Ansonsten könnt ihr euch den Song natürlich auch bei Spotify & Co. anhören.
Text: Fenja Plate
Fotos: Sinu