120 Schauspieler und Kulturschaffende aus der Türkei, ein 40-köpfiges Orga- und Helferteam, 21 Veranstaltungen an 6 Tagen: alles, um die Vision eines Mannes auf die Bühne zu bringen. Dass Kamil Kellecioğlu Integration lebt, wird spätestens im Gespräch mit ihm deutlich. Wir trafen den Theatermacher aus Gaziantep, dessen Verein Tiyatro Frankfurt dieses Jahr schon zum dritten Mal das Türkische Theaterfestival Frankfurt und Rüsselsheim veranstaltet und sprachen mit ihm über Kulturaustausch, Jugendarbeit und die Zukunft des türkischen Theaters.
Schon als Jugendlicher interessierte sich Kamil Kellecioğlu fürs Theater. Nachdem er in seiner Heimatstadt Gaziantep den Leiter des dortigen Stadttheaters kennenlernte und von ihm zu einem Casting eingeladen wurde, entschied er sich 1989 ein Theaterstudium am Konservatorium der Universität Gaziantep aufzunehmen. 1997 zog es ihn nach Deutschland, wo er 2003 das Tiyatro Frankfurt gründete.
Zu Beginn unseres Gespräches wollten wir von Kamil Kellecioğlu wissen, wie er seine eigene Theaterästhetik beschreiben würde und ob es für ihn ein ‘typisches türkisches Theater’ gibt: „Theater ist universell. Das türkische Theater ist reich an theatralen Elementen: Schattentheater, Zelttheater, Puppentheater, usw. All die Theaterfacetten sind heute noch präsent. Gleichzeitig richtet das türkische Theater seinen Blick auf moderne Theaterstücke und versucht die traditionellen Elemente mit denen des modernen Theaters zu vereinbaren.“
Das Facettenreichtum von der Bühne in den Zuschauerraum zu übertragen, sieht Kellecioğlu als wichtigsten Auftrag seiner Theaterarbeit. Besonders in einer multikulturellen Stadt wie Frankfurt, möchte er sein Theater als Begegnungsstätte für interkulturellen Austausch etablieren. Seine Angebote sollen jegliche Menschengruppen erreichen, die durch die Theatertexte mit neuem Gedankengut in Verbindung kommen.
Einen besonderen Wert legt der Theatermacher dabei auf die Arbeit mit jungen Menschen mit türkischem Migrationshintergrund. Ihnen die darstellenden Künste näher zu bringen, habe sowohl privat als auch beruflich positive Einflüsse: Von der Verbesserung der Rhetorik und Aussprache ihrer zweiten Muttersprache (Türkisch), über den Aufbau von Selbstvertrauen und Teamfähigkeit, bis hin zur kritischen Auseinandersetzung mit Identität, Traditionen und Gesellschaft. Welchen Mehrwert diese Angebote haben, erkannte 2013 auch die lokale Politik und verlieh dem Tiyatro Frankfurt den Integrationspreis der Stadt Frankfurt.Doch auch beim deutschen Publikum kommt sein Konzept gut an. Dafür sorgt vor allem die deutsche Übertitelung aller Theaterstücke. Im vergangenen Jahr waren schon 30% der Festivalgänger Deutsche, dieses Jahr hofft Kellecioğlu diese Zahl noch zu steigern. Wenn die Sprachbarrieren erstmal überwunden sind, steht dem Kontakt eigentlich nichts im Wege. „Wir stellen fest, dass sie positiv überrascht sind und großes Interesse daran haben.”
Zwar schafft die Arbeit des Tiyatro Frankfurt ein besseres menschliches Miteinander, ohne Hindernisse ist sie allerdings nicht. Das gesamte Team arbeitet ehrenamtlich und ist auf Förderer und Sponsoren angewiesen. Als wir Kellecioğlu fragen, was er als größtes Hindernis für seine Arbeit erachtet, lächelt er: „Es wäre schon schön, wenn wir unsere eigene Bühne und unsere eigenen Räumlichkeiten hätten.“
Es ist schwer vorstellbar, dass ein Theater, das nun schon seit 13 Jahren einen enormen Beitrag für den deutsch-türkischen Kulturaustausch in der Region leistet, immer noch keine eigene Bühne hat. Zumal mittlerweile einige bekannte türkische Theaterpersönlichkeiten wie Shermin Langhoff oder Nurkan Erpulat den Weg für professionelles türkisches Theater in Deutschland geebnet haben. Wie es seiner Meinung nach aktuell und in Zukunft um die deutsche Theaterlandschaft bestellt ist, wollen wir daher zum Abschluss unseres Gespräches noch von Kellecioğlu wissen: „Diese Personen wie Langhoff und Erpulat haben eine ‘Vorreiter’-Funktion. Sie sind sowohl für das türkische Theater als auch für die Integration der in Deutschland lebenden Türken sehr wichtig. In zehn Jahren wird die Theaterlandschaft viel mehr durch technische Mittel ergänzt als heute. Ob dies eine Erweiterung des Theaters mit sich bringt, ist für mich fraglich. Es ist nämlich gleichzeitig ein nostalgischer Rückblick in vielen Kunstbereichen zu sehen. Wie die Kombination dieser beiden Punkte im Bereich des Theaters aussehen wird, ist eine spannende Frage.“
Wer sich selbst einen Eindruck von türkischem Theater machen will, sollte das 3. Türkische Theaterfestival Frankfurt und Rüsselsheim, das vom 25. bis 30. Mai 2016 stattfindet, nicht verpassen. Neben den Theateraufführungen gibt es Podiumsdiskussionen, Workshops und Künstlergespräche. Weitere Infos zum Programm und Spielstätten gibt es hier: http://www.tiyatro-frankfurt.de/index.html
Text: Judith Blumberg
Fotos: Sevinç Özer & Kemal Korkmaz
Redaktion: Jonas Wronna