“Partneruniversität in Istanbul? Ich habe keine Ahnung, aber ich will da hin.” Und dann war ich da. In der Stadt, die alles bietet. Zumindest mehr als Hannover. Neue Gerüche, neue Blicke und neue Menschen. Ein halbes Jahr Erasmus in der Türkei. Von Februar bis Juli habe ich am Bosporus gelebt und die Stadt, ihre Einwohner und die Kultur lieben gelernt. Zwar habe ich nicht besonders viel Zeit in der Uni verbracht, hätte aber beinahe eine Karriere als Schauspieler eingeschlagen. Wäre da nicht der Dürüm gewesen.
Die Uni veranstaltet im Februar ein Infotreffen für alle ankommenden Erasmusstudenten in Istanbul. Da sitzen nun also etwa 150 Studenten aus zig verschiedenen Ländern und hören sich die einzelnen Informationsvorträge an. Neben dem offiziellen Part und der Vorstellung des ESN-Programms für das Semester mit Parties und Trips wird auch das “Erasmus Movie Project” vorgestellt. Es geht irgendwie darum, die Probleme von Erasmusstudenten in Kurzfilmen darzustellen – die Menge wirkt aber nicht wirklich interessiert. Ich sitze außen in der Sitzreihe und kriege als erster eine Liste zum Eintragen für die überreicht, die Lust haben, beim Filmprojekt mitzumachen. Naja, denke ich mir. Erasmus, Filmprojekt, Istanbul, neue Leute kennen lernen, da trage ich mich einfach mal ein. Machen sicher einige Studenten mit. Machen sie nicht. Nach dem Infotreffen kommt der Journalistik-Student strahlend auf mich zu, stellt sich als Kaan vor und sagt mir, dass er sich wegen des Projekts bei mir melden wird. Auf der Liste in seiner Hand steht ein Name: Meiner.
Zwei Monate höre ich nichts mehr vom “Erasmus Movie Project“. Anfang April schreibt mich dann Kaan bei Facebook an. “Laurenz, u have time on wednesday? Movie Project. You are first actor. We have minibus. And equipment. Will be great.” Von meiner Rolle als Actor wusste ich noch gar nichts. Hatte eher gedacht, dort als Ideengeber für Probleme von Erasmusstudenten zu agieren. Daher bitte ich ihn erst mal um ein Briefing am Mittwoch. Geht klar. Wir treffen uns an der Fakultät und gehen dann gemeinsam zum Büro eines Uniprofessors in der Maschinenbau-Fakultät. Wie steht denn der Maschinenbau-Professor jetzt zum Erasmus Movie Project vom Journalismus-Studiengang? “Just a friend”, erklärt Kaan. In dem Büro hängen hinter zwei Werkbänken unzählige türkische Musikinstrumente. Dazwischen sitzen der Professor im weißen Kittel, drei Studenten und ein etwa dreißigjähriger Türke, der sich mir als der Regisseur des Projektes vorstellt. Er ist selber noch Alibi-Student und betreibt mit zwei Kumpels eine kleine Filmproduktionsfirma. Der Professor streckt mir einen Sesamring entgegen und sagt: “Eat!” Ich setze mich aufs Sofa und rede mit Ahmet, dem Regisseur, über das Projekt. Tatsächlich sollen Erasmusstudenten in Kurzfilmen als Schauspieler mitmachen. “Whose project is it?”, frage ich. “International. European Union”, sagt Ahmet und lacht. Klar, aber wo soll das dann veröffentlich werden? “Social media. Your government will share it. And TV. We will make you famous, you will see.” Weder kann ich mir vorstellen, dass der Facebook-Account der Bundesregierung einen Kurzfilm zum Thema “Probleme von Erasmusstudenten in Istanbul” von ein paar Studenten der Istanbul University teilt noch glaube ich, dass das türkische Fernsehen die kurzen Clips ausstrahlen wird. Und am wenigsten glaube ich, dass ich damit berühmt werde oder besser damit berühmt werden will. Aber Ahmet ist sympathisch und die Jungs um Kaan, die das Projekt als studentische Hilfskräfte begleiten, sind auch gut drauf. Also willige ich ein, in einem Film mitzuspielen. Wann denn der Drehtag ist, frage ich vor dem Gehen. “We will inform you”, sagt Kaan.
Eine Woche später ist Drehtag am Atatürk-Flughafen. Die Story ist mir nicht ganz klar, aber ich soll für den Prolog-Film wohl einen ankommenden Erasmusstudenten in Istanbul darstellen. Und tatsächlich haben wir Permission, im Flughafengebäude zu drehen. Mitten in der Schneise der ankommenden Passagiere. Dort, wo ich vor zwei Monaten also mit meinem Koffer und vielen Erwartungen durch die Schiebetür gelaufen bin, stehe ich nun erneut. Mit einem Koffer, auf dem improvisiert zwei Erasmus-Sticker kleben. Und zwei Kameras um mich herum. Orhan filmt von hinten den von mir gezogenen Koffer, Ahmet und Evren stehen mit ihrem Equipment direkt vor den Empfangsschildern. Erst sind die Security-Männer nicht ganz einverstanden, aber als Şehmuz ihnen die Genehmigung zeigt, helfen sie, den Ankunftsbereich bestmöglich abzusperren, damit wir drehen können. Istanbuler Geschäftsleute, deutsche Touristen und arabische Großfamilien werden also direkt nach ihrer Ankunft am Flughafen von der Security angeherrscht, doch bitte links in einer Reihe an uns vorbeizugehen. Ein schwarzer Minibus holt uns nach getaner Arbeit ab und fährt mich bis zu meiner Metrostation nach Şişhane.
Ich erfahre abends von Kaan, dass wir noch einen Drehtag brauchen. Neues Setting: Der ehemalige und wunderschöne Bahnhof Haydarpaşa in Kadiköy auf der asiatischen Seite. Samstag soll gedreht werden. 15 Uhr Treffen am Bahnhof. Ich bin um kurz nach drei da und warte in der Sonne auf die Jungs. Zum Glück ist die Sonne aber wunderbar und ich sitze mit einem Çay am Bosporus. Zweieinhalb Stunden nach der abgemachten Zeit biegt der Minibus um die Ecke. Kaan kommt mit schlechtem Gewissen auf mich zu: “The traffic, man, sorry. I am so sorry.” Der Verkehr in Istanbul. “And demonstrations, sorry.” Mit dabei ist noch ein zweiter Actor. Der ist etwa dreißig und ist die türkische Synchronstimme vom Schlaubi-Schlumpf von der Comicserie “Die Schlümpfe”. Er spricht zwar kein Englisch, aber dafür redet er die ganze Zeit mit verstellter Stimme als Schlaubi-Schlumpf. Seine Rolle in dem Erasmus-Kurzfilm ist mir noch nicht bekannt. Naja, wir legen los und filmen die Szene, in der ich am Bahnhof ankomme und auf einmal einen Holzkoffer und eine Saz finde. Früher sind die nach Istanbul Reisenden nämlich nicht am Flughafen, sondern am Haydarpaşa-Bahnhof angekommen und Ahmet will nach der Ankunft am Flughafen einen Zeitsprung zum “alten” Istanbul am Bahnhof zeigen. Wir verlegen durch den gesamten Bahnhof Verlängerungskabel. Dann drehen wir die Szene. Ich verstehe die Regieanweisungen nicht so gut, weil die Filmcrew kein Englisch spricht und Şehmuz als Übersetzer unterwegs ist, um Essen zu holen. Also versuche ich, irgendwie Ahmets Anweisungen zu verstehen. “Çoook güzel”, ruft Orhan hinter der Kamera nur. “Was it the right face?”, frage ich. “Your face, Laurenz… Al Pacino”, sagt Evren, streckt mir seine Faust zum Check hin und steckt sich wieder seine Ohrstöpsel ins Ohr, aus denen englische Technomusik dröhnt. Die Szene ist im Kasten. “Which scenes do we need more?”, frage ich. Es wird langsam Abend und die Sonne steht nicht mehr allzu hoch am Himmel. “One more, you both together. But first food”, erklärt Ahmet. Ich schlage ihm vor, vielleicht erst die letzte Szene zu drehen und danach zu essen, weil die Sonne ja bald untergehen wird. “No worries! No problem, trust me”, sagt Ahmet grinsend. In dem Moment kommt auch schon Şehmuz mit dem Minibus und Dürüm und Cola für die gesamte Mannschaft. Wir essen auf den Stufen des Bahnhofs, unterhalten uns und schauen zu, wie die Sonne über der Hagia Sophia untergeht. “So, now last scene?”, frage ich nach dem Essen. “Aah, Laurenz, we have problem”, sagt Ahmet, “sun is gone, so we can’t do last scene now.”
Einen Drehtag brauchen wir noch. Dienstag Abend treffen wir uns in Orhans Bude, um die heimischen Vorbereitungen für das Erasmussemester zu filmen. Zwei Stunden, sagt Kaan. Erst wird aber noch Pizza bestellt und gegessen. Die Uni zahlt. Am Ende sind wir vier Stunden beschäftigt, doch immerhin sind alle Einstellungen abgedreht. Ich frage, was denn noch mit der Kadiköy-Szene ist, die wir wegen der untergegangenen Sonne nicht drehen konnten. Ist kein Problem, die Story wird einfach etwas umgeschrieben, meint Ahmet.
Ein paar Wochen später schickt er mir den Link zum fertigen Zweiminüter. Der erreicht nicht sofort Millionenklicks und die deutsche Regierung hat den Film natürlich auch nicht geteilt. Aber ich bin mittlerweile wieder in Deutschland und habe für immer eine Erinnerung an den charmanten Filmdreh und meine Ankunft in Istanbul.
Weitere Geschichten aus Laurenz’ Alltagsleben in Istanbul sind unter www.woodnstones.de zu lesen.
Text: Laurenz Schreiner