Die Bühne ist verschwunden, alle zusammen (also du, ich, wir, die…) sitzen in einer drittklassigen Taverne, aus den schlechten Lautsprechern ist türkische Arabesque zu hören. Ja, stimmt, die Liedtexte müssen wirklich nicht übersetzt werden: Schmerz,Schmerz – einzig du hast das Heilmittel! und so weiter und so fort. Glitter, trashige Federboas, ein Mikrophon – Staub oszilliert im Lichtkegel der Scheinwerfer.
Dann kommt Ahu auf die Bühne. (Tatsächlich fragt es aus dem Publikum: Mann oder Frau? Mann oder Frau. Rolle oder Darsteller. Darsteller oder Darstellerin. Frau die Mann spielt oder Mann der Frau spielt, die mal Mann war. Welche Rolle wird gespielt? Spielt es eine Rolle? Mehr Trans* geht nicht, denke ich dann irgendwann. Denn genau das Nachdenken sollte ja nicht mehr notwendig sein. Warum machen wir es dann?)
Ahu auf der Bühne: Mit rauchiger Stimme singt sie ins Mikrophon, eine Lady. Das Publikum lacht über den kleinen Jungen im Röckchen, der die Freunde des großen Bruders bezaubern möchte. Sind es alltägliche Anekdoten oder geht es um Suche, Schicksal, Vorbestimmung und schon hier um Schmerz? Dann Belgin. Die Gliedmaßen scheinen zu groß für den zarten Körper, die Bewegungen irgendwie ungelenk und irgendwie schön. Zu viel Make-Up – was ist zu viel?
Wunderbarer Charme von abblätterndem Gold und die Schönheit, die nur dort existiert, wo kein Tageslicht hinreicht. Natürlich klischeehaft. Shocking-schön. Melancholie. Wegdrehen und doch wieder hinschauen.
Es ist müßig aus der Publikumsperspektive über die Weisheit in dem Stück zu sprechen, das merke ich jetzt. Eine Beurteilung der Aussagen als weise ist ungefähr die gleiche Kategorie wie „Krass, als Frau bist du so witzig“. Belgin sagt: „Menschen wie Hulusi Kentmen, das sind Filmfiguren. Es gibt sie nicht im wahren Leben. Ich hab viele ältere Menschen gesehen, die angeblich nett waren, sanft. Und die soo moralisch waren. Niemals nahm ich einen schlechten Mann mit. Jeder Mann, mit dem ich Sex hatte, war moralisch.“
Ganz viel verschwimmt, ich bin im Zuschauerraum, bin in dem Nachtclub mit Ahu und den anderen, bin im Gezi Park und sehe das Kind, dass sich die Arme voller Sesamringe hängt und bereitwillig dem Mann folgt, der sie ihm gekauft hat. Dass das eigentliche Theater im Kopf stattfindet, passt ganz gut zum Thema.
Manche Begriffe lassen mich zusammenzucken, nicht nur, weil ich nicht alle Tage über diese Dinge spreche, sondern auch, weil es sich um sensible Begriffe handelt, über deren Verwendung debattiert wird, deren falsche Verwendung verletzend sein kann. In Deutschland und auch in der Türkei.
Der Theatertext stammt aus Original-Interviews aus dem gleichnamigen Buch, herausgegeben von der LGBT-Vereinigung “Siyah Pembe Üçgen Dernegi” in Izmir; die jüngste der vier Personen ist heute 50 Jahre alt. Fakt ist: in der Türkei der 80er Jahre gab es keine Bezeichnung für das, was Ahu und die anderen waren, nicht sein durften. Denn was nicht benannt werden kann, existiert auch nicht? Sprache ist hier, wie so oft, Faktor und Indikator in einem: „Dann sagten die Polizisten: Frauen gehen dahin, und Transen dorthin. Nein, wartet, die haben nicht den Ausdruck ,Transen’ benutzt damals. Die haben gesagt ,Frauenähnliche’, weil wir wie Frauen angezogen waren. Wir haben gemacht, was sie sagten.“
Aber fesselnder als das Faktengerippe ist die Gefühlswelt dahinter, die von den Darstellerinnen auf der Bühne liegengelassen, in den Zuschauerraum geschmissen wird. Kannst du, wenn du von Anfang an jedes deiner Gefühle hinterfragst, weil du denkst, es sei verboten, am Ende offener über deine Gefühle reden? Über die Angst, wieder aus Istanbul weggeschickt zu werden in eine geschlossene Gesellschaft und eine Stadt, die so klein ist, dass keine Verstecke existieren?
Auch wenn wir die ganze Zeit in der Taverne sitzen: Unverkennbar hat das Stück einen Spannungsbogen. immer näher kommen wir der Zeit um den Militärputsch 1980 und der Klimax der Repression. Burcu erzählt: „Ich denke, wir waren zu zwölft. Wir waren auf einem Zug. Es war kalt und es schneite. Sie ließen uns in einem Tal zwischen zwei Bergen aussteigen, in der Nähe vom Bolu-Berg. Einzig das Mondlicht zeigte uns den Weg. Sie überließen uns dem Tod.“ Am Ende dann: „Aber wisst ihr, was wirklich weh tut? Dass sie sagen, die Zeiten haben sich geändert. Zeiten ändern sich.“ Ufuk Tan Altunkaya vollendet den Bogen zwischen Schwere und Leichtigkeit, Realität und Rollenspiel. Klar, das Stück erzählt vom Trans* sein, in der Türkei, in den 80ern. Aber alle drei Komponenten sind beliebig ersetzbar.
Deswegen kommt das Stück auch zu einem Gastspiel nach Berlin. Mit der bekannten Gayhane-Partyreihe im SO 36 mit Trash und Homo Oriental Lounge Bauchtanz-Beat hat das mekan.arti Ensemble sicher einen passenden Rahmen für die Inszenierung gefunden.
Text: Marie Lemser
Bilder: merkan.arti