Istanbul. 2575,5 km trennen uns. 24 Autostunden. Oder 496 Stunden Fußweg. Und Millionen von Erinnerungen, die uns verbinden. Aber keine Sprache, die das beschreiben könnte.
Ich weiß nicht, ob es Worte gibt, die erklären können, was die Türkei ist. Ich weiß nicht, ob es eine Sprache gibt, die Worte hat, die Türkei zu beschreiben. Denn die Türkei, die ist für mich so flüchtig, so vergänglich, so unnahbar, so fremd, so wunderbar ambivalent, dass ein Wort, das in einem Moment auf sie verweist, im nächsten schon ins Leere zielt oder sie niemals erst einholen wird. Die Türkei kann man nicht in Worten anketten. Jedem Wort, das versucht sie zu zementieren, entschwindet sie im gleichen Augenblick, dockt an einer anderen Stelle an, nur um gleich weiter zu ziehen, höhnisch, frech, verwegen. Die Türkei kann man nicht einholen, sie lässt sich nicht vorhersagen, erwarten. Wie ein heftig pochender Herzschlag lebt sie, entrinnt den Fingern, wie Sandkörner, wenn man versucht nach ihr zu greifen. Wer nach Istanbul reist, schmeißt seine Erwartungen in den Müll. Und den Reiseführer. Vakuum im Kopf. Eindrücke und Geschehnisse prasseln herab in schwindelnden Rhythmen. Meißeln sich ein, unumkehrbar, permanent. Die Türkei, das ist ein Gefühl des Unerwartbaren, das erst ein bisschen weh tut und bald schon süßlich vertraut ist.
So viele Geschichten, Facetten, so viele Menschen; Mosaikstücke von Erinnerung spiegeln sich in Silhouetten anderer Orte. Ein Echo von Istanbul, wohin ich gehe; die Sehnsucht bleibt. Und keine Sprache, die das beschreiben könnte. 2575,6 km und doch Etwas, das bleibt, das Unsagbar ist, auch mit tausenden Worten. Das Herz ist voll von dir. Und auch der Kopf. Spukst herum in meinen Gedanken, wenn ich Langeweile habe oder gerade aufgestanden bin. Immer suche ich nach dir.
Welche Silben sollen das erklären, welche Worte in Zusammenhänge weben? Ferne Fremde, der so viel Heimat innewohnt. Unbegreiflich. Und doch so viele Teile von mir.
Du bist wie ein Pol der Ruhe für mich. Und löst zugleich brausende Wirbelstürme in mir aus. Straßenkatzen, duftend Backwerk, und Sonnenblumenkerneknacken. Wie ein Fieber glühst du, reißt mich mit durch enge Gassen; von den Wänden schallt Gelächter; Nachtkulisse rauscht vorbei, Möwenkreischen, salzig peitscht die Brise, dumpfes Schiffshorn dröhnt von wilden Wellen, an Horizonten Endlosstadt.
Von Bedeutung wird mein Herz ganz schwer. Worte fangen die Gedankensprünge nicht. Ist es nicht so wichtig, mit Silben Brücken zu bauen? Von dir zu mir zu anderswo. Wie ein Hall von Traumfetzen im hellen Tageslicht, unnahbar nah und uneinholbar weit weg. Die Zunge schwer wie Blei, bleibt all das Wichtige ungesagt, weil ich es nicht erklären kann.
496 Stunden zu Fuß, 24 Stunden im Auto oder 2575,5 km, die von dir zur mir eine kohärente Geschichte aus Erinnerungen knüpfen. Du bist von mir tausende Teile. Unsagbar, auch mit allen Worten.
Text: Tina Philipp (Gastautorin)
Fotos: Maximiliane Wittek, Benedikt Strickmann