Die Händler*innen kommen mit kleinen Lieferwagen, bis unter das Dach vollgestopft mit Obst- und Gemüsekisten. Einfache Holztische werden aneinandergereiht, die Straße ist für den Autoverkehr gesperrt. Lange Metallstangen und Seile stützen Zeltplanen, die von Hauswand zu Hauswand ein geschlossenes Dach bilden. Und darunter: Der Markt. Ein Verkäufer bietet nur zwei oder drei Sorten Obst an, ein Anderer gegenüber verkauft ausschließlich den kreisrunden und hauchdünnen Yufkateig. Weiter hinten liegen Kleidung und Haushaltswaren auf langen Tischen. Gewürzhändler, Anbieter von Trockenobst und frischem Fisch, sowie das Schreien aus hunderten, fast heiseren Kehlen der Marktschreier sorgen für ein besonderes Flair.
Ohne Umweg vom Acker zum Markt
Dies ist ein türkischer Wochenmarkt in Istanbul, ein Semt Pazarı. Das türkische Wort Pazar hat, genau wie im Deutschen, seinen Ursprung im persischen Wort Bāzār. Jedes Viertel (semt) bekommt einmal in der Woche Besuch von einer ganzen Karawane an Händlern. Manche Kleinbauern bringen ihr Gemüse in großen Körben direkt vom Feld aus der Umgebung, denn auch mitten in Istanbul gibt es landwirtschaftliche Betriebe zwischen den Schluchten gigantischer Hochhäuser. Andere wiederum beziehen ihre Waren von einem der Istanbuler Großmärkte. So auch Yusuf Koyuncu. Er und vier weitere Männer betreiben gemeinsam einen größeren Verkaufsstand, den sogenannten Tezgâh. Morgens um sechs Uhr geht es für Herrn Koyuncu und zwei seiner Söhne los. Während er selbst die Ware vom Großmarkt in Bostancı holt, bereiten die anderen Männer bereits den Tezgâh vor. Sind Obst und Gemüse eingetroffen, startet auch schon der Verkauf.
Faruk, einer von Herrn Koyuncus Söhnen, ist eigentlich noch Schüler der Oberstufe. Nur an Wochenenden und in den Ferien hilft er seinem Vater aus. Faruk könnte heute auch in Deutschland leben, denn sein Vater kam in den 90ern nach Bonn und arbeitete etwas mehr als ein Jahr bei einem türkischen Gemüsegroßhändler im benachbarten Köln. “Ich mochte Deutschland sehr, meine Freunde, meinen Job”, erzählt Herr Koyuncu. Doch seine Familie bekam kein Visum und als die Sehnsucht nach Frau und Kindern zu groß wurde, entschloss er sich zur Rückreise in die Türkei. Hier erst bemerkte er den Unterschied zwischen türkischem und deutschem Lebensmittelangebot. “In Deutschland sind die Früchte und das Gemüse üppiger, sie sind besser, haben alle dieselbe Größe.” Doch beim Preis liegt die Türkei wohl vorn, meint er.
Die Tradition des Handelns ist hier noch erlaubt
Auf einen anderen Unterschied weist Herr Koyuncu auch hin. Denn in der Türkei hat man bei einer Obst- oder Gemüsesorte eine größere Auswahl. Mag man beispielsweise eine Sorte Pfirsich nicht, geht man zum nächsten Stand und bekommt dort eine völlig andere. Diese Auswahl hat verschiedene Gründe. Zum einen liegt es an der Größe des Basars selbst. Dutzende Händler*innen mit unterschiedlichen Bezugsquellen sorgen hier für ein breiteres Angebot. Auf der anderen Seite engen deutsche und europäische Gesetze zur Qualität oder Patente auf Saatgut die Auswahl an Obst und Gemüse ein. Das ist nicht immer im Sinne der Verbraucher*innen.
Während in Deutschland die wenigen kleinen Wochenmärkte oft teurer sind, als der Einkauf im Supermarkt, ist es in der Türkei genau andersherum. Auf dem Semt Pazarı können die Kund*innen richtig Geld sparen. Auch Handeln ist erlaubt, bestätigt Herr Koyuncu: “Manchmal wollen Kunden Extrapreise. Will jemand zehn Kilo Bohnen kaufen und anstatt fünf Lira fürs Kilo nur vier oder viereinhalb Lira bezahlen, dann ist das in Ordnung. Im Laden geht das jedoch nicht.” Dennoch, so sagt er später, sind sowohl Wochenmärkte als auch Supermärkte wichtig für die Türk*innen. Die Mischung macht es eben.
Nicht nur Äpfel, Birnen und Kartoffeln
Hellgrüne Zucchini, Granatäpfel, schwarze und weiße Maulbeeren, eingelegtes Gemüse aller Art und Okraschoten kennzeichnen das riesige Warenangebot. Orangen, Tomaten oder Trockenobst werden zu riesigen Hügeln aufgeschüttet. Aus Porreestangen und medizinballgroßen Weißkohlen entstehen Pyramiden, während hinter den Ständen die Müllberge aus leeren Plastikkisten und Maiskolbenblättern wachsen. Die Frage, wer das denn alles essen soll, stellt im Gedränge der nachmittäglichen Schnäppchenjäger niemand. Die Menschen schieben sich durch die engen Gassen, ziehen den fahrbaren Einkaufskorb hinter sich her und spähen immer wieder auf die Preisschilder zu beiden Seiten der Menschenmasse. Manch ein Simitverkäufer, der sich durch das Gedränge wühlt, hat es schwer, seine Sesamringe beieinander zu halten.
Eine Gemeinsamkeit gibt es zwischen deutschen und türkischen Märkten dann doch noch: die Frische der Ware. Das Obst und Gemüse, das Herr Koyuncu morgens auf dem Großmarkt einlädt, kam kurz zuvor aus Antalya, Iznik und auch aus Istanbuls Nachbarstadt Kocaeli. Die Transportwege sind, genau wie beim deutschen Bauern sehr kurz. In beiden Fällen lässt sich das auch im Geschmack merken.
Ob bei Hitze oder dichtem Schneetreiben
Marktverkäufer*innen auf einem Semt Pazarı haben es sicherlich schwerer als ihre Kolleg*innen im Laden. Bei Wind und Wetter stehen sie draußen auf der Straße. Zwischendurch gibt es nur kurz die Möglichkeit, beim Imbiss zu essen. Immerhin tragen fliegende Teeverkäufer auf silbernen Tabletts Çay von Stand zu Stand. Gerade bei Schnee und Regen ein willkommenes Angebot. Im Sommer helfen nur die Zeltplanen oder eine Wassermelone aus dem eigenen Angebot vor der Hitze. Feierabend ist nach vierzehn Stunden Einsatz erst abends um acht, freie Tage gibt es nur selten. “Ich mag es”, mein Herr Koyuncu. Natürlich gibt es immer ein paar Probleme und manchmal ist die Arbeit anstrengend, doch am Ende des Tages geht es auch darum, die Familie zu ernähren.
Text: Navid Linnemann, Dilek Linnemann
Fotos: Navid Linnemann