Das Schellen eines alten Telefons, welches an die Türklingel Istanbuler Wohnungen erinnert. Sophia nimmt ab – Can you feel the pain, I know you feel the same, please save me. Ganz dicht fährt die Kamera heran. Blende Umut. Das Bild wackelt, es flimmert, wird unscharf und fängt sich wieder. Sophia umklammert den verkabelten Hörer – You know you are my heart, my life falls apart, it breaks me. Wieder Blende Umut. Dieses Flehen, diese Verzweiflung erinnern an Madcons Beggin, an dessen Coverversion der Eurovision-Gewinner Måneskin in den Reels Instagram nicht mehr vorbeikommt. Doch flehen Sound of SU – wie das Duo aus Sophia Anahit Crüsemann und Umut Yildiz heißt – überhaupt jemanden um ihrer oder seiner Liebe wegen an?
„Ich wollte der Kultur näher kommen und entsprechend auch der Musik.“
Sound of SU nutzte die Auftrittsbeschränkungen für Musiker*innen im Zuge der Pandemie für einen Neustart der eigenen Kunst. Neues Logo, neuer Style und vor allem die Errichtung eines Labels sowie Aufnahmestudios standen auf dem Programm. Jetzt melden sich Sophia und Umut mit einer ersten Single vom kommenden Album zurück. Während Sophia aus der klassischen Musik kommt, im Ruhrgebiet ein Orchester gründete und Filmmusik komponierte, liegen Umuts Wurzeln in der türkischen Rockmusik. Doch obwohl sie in unterschiedlichen Ländern aufgewachsen sind, stellten sie schnell ihre gemeinsamen, sie verbindenden Wurzeln fest.
Umut Yildiz wurde in Çaycuma (Zonguldak) geboren und Sophia Crüsemanns Mutter stammt aus Istanbul. Ihre Herkunft und ihre liebe zur Musik, inspirierte sie, sich auf eine gemeinsame musikalische Reise einzulassen, Sophias Klassik und Umuts Rock „fließen“ ganz natürlich miteinander wie Wasser – SU – die Initialen beider Vornamen.
Musikalisch vielseitige Wurzeln gipfeln in einem einzigartigen Sound
Sophia lernte im Alter von 9 Jahren Bratsche und begann so ihre musikalische Ausbildung in der Klassik. 2015 gründete sie das „Ensamble Essener Solisten“ für das sie die ersten Stücke (z. B. „Boatpeople“) komponierte. Orchestermusik, in der Sophia Eindrücke von Geflüchteten auf der griechischen Insel Kos verarbeitete. Während sie sich musikalisch in Richtung Jazz und von der Bratsche zum Gesang weiterentwickelte, blieb Sophia der Orchestermusik dennoch treu. Als 2018 der Filmemacher Markus Weinberg eine Crowdfunding-Kampagne startete, um seinen Film “Die Mission der Lifeline” zu finanzieren, wollte Sophia sich beteiligen und bot an, die Filmmusik zu schreiben. Das im Film enthaltene Stück „Dramapanorama“ erhielt dank Umut Yildiz auch noch eine rockigere Neufassung.
Kennengelernt haben sich die beiden während Sophias Urlaub in Bodrum. „Er hat, gespielt und ich war als Zuschauerin da“, erzählt sie. „Dann bin ich nachher zur Band gegangen, weil ich in der Türkei mit Musikern Kontakt aufnehmen wollte. Meine Mutter ist Armenierin aus Istanbul und ich bin mit den Menschen hier und der Sprache aufgewachsen. Ich wollte der Kultur näher kommen und entsprechend auch der Musik. Wir haben uns unterhalten und uns war sofort klar, dass wir Musik zusammen machen wollten.“ Mittlerweile leben Sophia und Umut gemeinsam in Essen, denn das Paar bildet nicht nur musikalisch ein Duo.
Für Umut Yildiz‘ musikalische Karriere mag es durchaus ein großer Vorteil gewesen sein, dass in seiner Familie viele aktive Musiker sind. So schenkte ein Onkel dem 6-jährigen Umut eine Yamaha-Orgel, auf der er seine ersten musikalischen Erfahrungen sammelte. Doch während er später Klavierunterricht erhielt, galt seine Liebe der Gitarre. Diese musste er sich jedoch selbst (und vor allem heimlich) beibringen, da sein Musiklehrer kein anderes Instrument als das Piano tolerierte – man solle sich schließlich auf eine Sache konzentrieren. Dass Umut gut daran getan hat, auch die Gitarre zu erlernen, zeigte sich später daran, dass er noch vor Beendigung seines Studiums der Musiktechnologie an der Istanbul Teknik Üniversitesi zum Berufsmusiker wurde. Auftritte mit bekannten türkischen Musikern auf großen Tourneen, abends Solo in Bars oder Leadgitarrist der Band Gece Yolculari zu sein waren für Umut ein wahrgewordener Traum.
Sound of SU orientieren sich bei den Themen ihrer Texte häufig an äußeren Einflüssen. Das war schon bei Sophias Orchesterstücken so und spiegelte sich beispielsweise auch in Tear Down The Walls wider. Politisch ist die Musik der beiden in jedem Fall und das ist auch gewollt. „Wir wollen mit unserer Musik etwas erreichen und auch etwas verändern. Das ist uns wichtig“, erklärt Sophia.
Umut ist bei den Songs jedoch eher für den rockigen Sound zuständig, wie er erklärt: „Wir haben unseren Stil mittlerweile gefunden. Also, eigentlich ist es mehr ein gewisser Sound. Man findet Jazz-Elemente darin und rockige Gitarrenriffs.“ Auch elektronische, klassische und viele andere Einflüsse sind erkennbar – der Sound of SU eben. Diese Vielseitigkeit dürfte nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen sein, dass es sich um ein Projekt zweier mehrfach begabten und gebildeten Musiker*innen handelt.
Doch zurück zur Pandemie und der intensiven Arbeitsphase, die hinter Sophia und Umut liegt. Die beiden haben „ausgemistet“ und einige ihrer ersten Songs aus dem Repertoire ihres YouTube-Channels genommen. Einiges davon wird jedoch bald als Neuauflage erscheinen, wie sie auf ihren Social Media-Seiten verkünden – bestimmt auch auf dem im Frühjahr 2022 erscheinenden Album. Die vorab veröffentlichte Single We Can Make Ct gehört ebenfalls dazu.
Wer ist am anderen Ende der Leitung?
Behind the clouds there is blue sky, A new day begins, another chance, singt Sophia und legt den Hörer zur Seite. I can make it. Sie geht raus, läuft durch die Stadt. We can make it.
Die neue Single von Sound of SU ist eben kein Flehen um den Erhalt einer in die Brüche gegangenen Beziehung zwischen zwei Liebenden, zwei Ländern oder zwei Kulturen, sondern eine Durchhalteparole in schwierigen Zeiten der ungewollten Distanz, wie wir sie alle nur allzu gut kennengelernt haben.
Text: Navid Linnemann
Fotos: Sound of SU