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Türkenthemen, Medienmache und Dönerstage. Auf einen Çay mit Şirin Manolya Sak

Genau genommen bestellt sich Şirin keinen Cay, als wir uns zu einem Gespräch in Cihangir treffen, sondern einen Kaffee. Vor eineinhalb Jahren hat sie ihren Lebensmittelpunkt von Berlin hierher verlagert, nach Cihangir, in das Kunst- und Kulturszene-Herz Istanbuls. “Ich musste mal raus”, sagt sie, “eine Pause von Berlin machen, neue Kreativität schöpfen, zurückblicken.”

Zurückblicken kann Şirin Manolya Sak auf zehn Jahre deutsch-türkische Medienmache im Spotlight, hinterm Mikrofon, vor der Kamera, auf der Bühne. Anfang zwanzig rutschte sie da so rein, sagt sie. Mit einem Praktikum beim türkischen Radiosender Radyo Metropol FM in Berlin fing alles an: Ihre Sendung “Delidivane”, die sie für den Sender entwickelt hatte, machte sie zum Radiostar. Viermal am Tag flötete sie den Zuhörenden “Hallöchen, meine Lieben” ins Ohr und bestückte sie mit kleinen Weisheiten – und das über sieben Jahre lang. “Delidivane” wurde zur meistgehörten Sendung von Radyo Metropol FM, die sogar ZuhörerInnen außerhalb der deutsch-türkischen Community anlockte.

Şirin selbst wurde dadurch zur Expertin für Türkenthemen, wie sie sagt. Sie sprach bei Diskussionen, bloggte für verschiedene Medienanstalten, moderierte Veranstaltungen, schrieb dann auch noch ein Buch. Irgendwann hatte sie eine Pause nötig.  “Wenn man so tief in einer Thematik und Arbeit drin ist, gibt es außerhalb nichts anderes. Das ist kein Job, sondern eine Berufung, die man 24 Stunden am Tag lebt. Da muss man irgendwann mal hinaustreten und Revue passieren lassen, schauen wo man selbst nach all der Zeit steht und wie sich der Medienmarkt um einen verändert hat.” Zu diesen Veränderungen in der Medienwelt rund ums Deutsch-Türkische hat Şirin einen erheblichen Beitrag geleistet.

Ihre erste Sendung sprach sie wie selbstverständlich auf Deutsch ein. “Şirin, du weißt schon, dass wir ein türkischer Radiosender sind?”, war die Redaktion aus der Chefetage. “Natürlich, aber unsere Hörerschaft kann doch auch Deutsch”, wunderte sich Şirin. Man ließ sie gewähren. Ihre Sendung, die sich um Lokales drehte und sich auf Deutsch an die HörerInnen wendete, füllte eine Lücke, die sich in den türkischen Medien aufgetan hatte. “Zu der Zeit berichteten türkische Medien in Deutschland vorwiegend über das Tagesgeschehen in der Türkei”, erzählt Şirin. Dabei war die Hörerschaft zunehmend in Deutschland verwurzelt. Klar, die großen Ereignisse in der Türkei blieben wichtig, doch man wollte auch konkret wissen, was vor der Tür stattfand.

Gerade jüngere Menschen suchten Medien, die sie, ihr Lebensgefühl und ihre Bedürfnisse abbildeten. Şirin zog nach Kreuzberg und fühlte ihren potentiellen HörerInnen auf den Zahn. Und formte Programme und Kampagnen im Radio, die diesen HörerInnen zugänglich waren. Da ging es um Zweistaatlichkeit, berufliche Chancen für junge Menschen mit Türkisch-Kenntnissen, aber auch einfach Neuigkeiten im Kiez. Şirin stellte Verbindungen zwischen der deutsch-türkischen Community und deutschen Institutionen her. Kampagnen der Polizei und Feuerwehr, die insbesondere türkischstämmige Arbeitnehmer suchten, wurden gestartet, durch eine Kooperation mit der deutschen Knochenmarkspenderkartei wurden Menschen mit Türkei-Hintergrund an Land gezogen. Gerade hier spielt die Ethnie eine große Rolle. Şirin nutzte die Medien, um eine Kommunikationsbrücke zu bauen. Und, ganz der Radiomensch, um ein Sprachrohr zu sein für eine junge Generation inmitten zweier Kulturen. Als Reaktion auf Sarrazins “Deutschland schafft sich ab” entwickelte Şirin die Sendung “Dönerstag”, in der deutsch-türkische Freundschaften vorgestellt wurden. Die gelebte Integration, nicht die von oben besprochene und sezierte. “Das, wovon in der Theorie geredet wurde, war für mich einfach normal. Das habe ich gelebt. Und so selbstverständlich bin ich da rangegangen, um das weiterzugeben und zu vermitteln.”

Diese Normalität im Umgang mit dem Leben in kultureller Vielfalt vermisste Şirin damals in den Medien, insbesondere auch in den deutschen Leitmedien. Eine Zeit lang arbeitete sie als freie Mitarbeiterin auch bei einem deutschen Regionalsender in Berlin. Ein Erlebnis dort prägte ihre Aktivität in der Medienwelt besonders. “Ich hatte einen Beitrag über ein Theaterstück am Renaissance-Theater vorbereitet”, erzählt sie. In dem Beitrag fasste sie die Handlung des Stückes zusammen und interviewte zwei Schauspieler, die an diesem Stück mitwirkten: Oktay Özdemir und Eralp Uzun. Die Reaktion eines Kollegen auf den Beitrag erstaunte sie. “Er fragte mich, warum ich beim Interview Oktay Özdemir denn nicht gefragt hätte, wie seine türkische Familie es fände, dass er durch seine Arbeit im Fernsehen nackt zu sehen sei. Das hatte überhaupt nichts mit dem Stück zu tun!” Şirin war frustriert über diese Stereotypisierung. Im Internet fand sie andere frustrierte JournalistInnen. Gemeinsam gründete man den Verein “Neue Deutsche Medienmacher“. Man diskutierte über die Stigmatisierung von Menschen mit Migrationshintergrund in den Medien. Ob als Interviewter oder als Medienmacher. Und durch den Verein begann man, sich dafür einzusetzen, dass JournalistInnen mit türkischem Migrationshintergrund eben nicht immer nur die “Türkenthemen” machen mussten. Oder dass Menschen mit Migrationshintergrund nicht nur als Experten herangezogen wurden, wenn es um ihren eigenen kulturellen Background ging. Der Verein zählt nun mehrere hundert Mitglieder, bietet Kurse, Treffen, Veranstaltungen und ein riesiges Netzwerk. Schritt für Schritt tritt Veränderung ein.

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Şirin findet, dass sich in den zehn Jahren, in denen sie in der Branche aktiv ist, einiges getan hat. Türkische als auch deutsche Medien in Deutschland gehen mehr auf ihre HörerInnen und LeserInnen ein und gestalten Medien mit dem Wissen im Hinterkopf, dass ihre Hörer- und Leserschaft kulturell vielfältig, in Deutschland verwurzelt und an lokalen Themen interessiert ist. Die Normalisierung, wie Şirin sie nennt, schreitet voran. Aber ein bisschen wird es wohl schon noch brauchen.

Nach ihrer Deutschlandpause, in der sie das Leben in der Türkei näher kennengelernt und von hier aus geschrieben, gebloggt, genetzwerkt hat, will Şirin nun wieder öfter in Berlin sein. Endlich vermisst sie die Stadt wieder. Und wie wird es beruflich weitergehen? “Ach, ob vor der Kamera, hinter dem Mikro, auf der Bühne, das ist eigentlich egal”, sagt sie. “Hauptsache, ich kann meiner Berufung weiter folgen.” Der Berufung, Deutsch-Türkisches in den Medien zu normalisieren, und ihrem Publikum das zu liefern, was es wirklich braucht.

Text: Marie Hartlieb
Bilder und Redaktion: Sabrina Raap