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Von Postkarten, Kriegsschiffen und einer alten Freundschaft dreier Nationen

Stöbern bei den Antikacıs in Istanbul

Generell bin ich einer von den Typen, die alten Kram mögen. In Istanbul ist das besonders gefährlich, da es hier an vielen Ecken Händler mit unzähligen Schätzen gibt, die erkundet und geplündert werden wollen. Ein Antikacı ist beispielsweise für Antiquitäten zuständig und beim Sahaf bekommt man alte und seltene Bücher. Der Eskici wiederum sammelt mit einem Holzkarren Trödel in den Wohnvierteln, um ihn in seinem Laden wieder zu verkaufen. Ganz ehrlich, ich liebe das! An kaum einem Schaufenster komme ich vorbei, ohne einen Blick hineinzuwerfen.

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Im weitestgehend leerstehenden Kadıköy Ҫarşı, einem alten Einkaufszentrum, war es wieder geschehen. An der Scheibe eines Ladens klebten zahlreiche alte Post- und Ansichtskarten. Neben den klassischen Fotos mit Istanbuler Motiven zeigten einige von ihnen auch kolorierte Flaggen. Ich stutzte, denn neben der türkischen Flagge entdeckte ich Farben des deutschen und österreichischen Kaiserreichs – das deutsche Schwarz-Weiß-Rot und das österreichische Schwarz-Gelb. Auf einer Karte waren zudem Fotografien von Kaiser Wilhelm II., Kaiser Franz Joseph I. und, das musste ich googeln, Sultan Mehmed V. Was genau hatte es damit auf sich?
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Krieg als Postkartenmotiv – Schlachtszenen aus dem Orient

Schon Jahre vor dem ersten Weltkrieg gab es rege Beziehungen zwischen dem deutschen Kaiserreich und dem Osmanischen Reich. Der deutsche Kaiser war um 1900 drei Mal zu Besuch am Bosporus, es gab wirtschaftliches Interesse auf beiden Seiten. Der Bau einer Bahnlinie von Berlin bis Bagdad ist da nur ein Beispiel. Kurz nach Ausbruch des Krieges im Sommer 1914 wurden die Osmanen Teil der Mittelmächte, auch Dreibund genannt. Später kam dann noch Bulgarien dazu. Während man sich auf deutscher und österreichischer Seite von den türkischen Verbündeten vor allem die Unterbindung des Seeverkehrs zwischen Russland und England/Frankreich erhoffte, glaubte man auf osmanischer Seite, die verlorenen Gebiete auf dem Balkan zurückzugewinnen.
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Doch zurück zu den Postkarten im Schaufenster. Der Händler in Kadıköy war bei Weitem nicht der einzige mit derartigen Spuren unserer gemeinsamen Vergangenheit im Angebot. Auch die Vielfalt der Motive war bei genauerer Betrachtung größer. Es gab beispielsweise ein wiederkehrendes Motiv auf Feldpostkarten, welches je ein Kind in den Uniformen der Verbündeten zeigte. Die Szenen waren militärisch oder im Spiel. Gepaart wurde das ganze mit Schlachtrufen („Vorwärts mit frischem Mut!“) oder Durchhalteparolen („Dem Freunde Schutz – Dem Feinde Trutz!”). Propagandistisch und patriotisch waren auch die anderen Motive. Neben den schon erwähnten Flaggen und Herrescherfotos gab es auch Gemälde von Schlachtszenen oder dem alltäglichen Leben im Osmanischen Reich. Oft gepaart mit Sprüchen wie „In Treu’ verbündet für ewge Zeit”.
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Kaiser und Sultan schmücken alles – vom Porzellanteller bis zur Zigarettendose

Eine solche Feldpostkarte schrieb der Soldat Johann Jansen, der im lothringischen Bitsch stationiert war, an seinen Onkel in Reydt. Seine verspäteten Neujahrsgrüße und einer Beschreibung seines Wohlbefindens schickte er im Westen des Deutschen Reiches am 5.1.1916 unter einer Abbildung der drei Flaggen der Mittelmächte. Auf einer ungarischen Karte schrieb ein österreichischer Soldat des k.u.k. Festungsartilleriereserbataillon No. 2 in Sarajevo lediglich die Worte „Mit Gruß” an ein Fräulein Anna. Vielleicht eine Art Lebenszeichen in einer Zeit ohne WhatsApp.
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Bei den Händlern in Istanbuls Straßen findet man noch andere Exponate aus der Zeit osmanisch-deutsch-österreichischer Waffenbrüderschaft. Im Großen Basar hat ein Antiquitätenhändler eine Tabakdose im Angebot, die ein gemeinsames Foto der verbündeten Monarchen zeigt. Auf dem Antika Pazarı in Feriköy/Şişli findet man zahlreiche patriotische Ringe und Anstecknadeln. Auch sie tragen die Farben der Mittelmächte- je nach Entstehungszeit mit Bulgarien oder ohne. Ein kleiner Laden in Kadıköy stellt derweil zwei Porzellanteller aus, die ebenfalls die Monarchen abbilden. Wer jetzt an ein schönes Souvenier denkt, muss ernüchtert feststellen, dass die Preise für diese alten Schätze mindestens im dreistelligen Bereich liegen. Selbst für die Feldpostkarten legt ein Sammler mindestens 30€ pro Stück hin. Hat man bei deutschen Auktionsplattformen etwas Glück, gibt man weit weniger aus.
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Es ging weniger um Völkerverständigung als um Waffenbrüderschaft

Das Angebot an Produkten der damaligen Zeit zusammengefasst betrachtet, stellt man fest, dass es in erster Linie darum ging, der deutschen und österreichischen Bevölkerung das Bündnis mit den Osmanen schmackhaft zu machen. Dass dieses Bündnis zu Beginn in erster Linie eine Unterstützung der als schwach eingeschätzen osmanischen Armee diente, wird an einem Fall deutlich, den jedes Kind in türkischen Schulen lernt. Die Osmanen hatten damals die Kreuzer SMS Goeben (Yavuz Sultan Selim) und SMS Breslau (Midilli) von der kaiserlichen Marine erhalten, da die zuvor in England bestellten Kriegsschiffe seitens Großbritannien beschlagnahmt wurden. Die beiden deutschen Schiffe, ohnehin im Mittelmeereinsatz, fuhren nun unter osmanischer Flagge Angriffe im Schwarzen Meer gegen Russland. Dabei wurde die Besatzung nicht ausgetauscht. Es waren weiterhin deutsche Matrosen und Offiziere. Nun jedoch mit einem Fes auf dem Kopf. Von dieser, auch für die heutige Türkei, wichtigen Geschichte erzählen Fundstücke der Istanbuler Händler, Fotos der Besatzung oder eine Briefmarke aus der späteren Türkischen Republik.
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Vom vielfältigen Angebot der historischen Artefakte förmlich erschlagen, ist es verwunderlich, dass ich bei meinem letzten Besuch auf dem Antika Pazarı eben keinen hundert Jahre alten Anstecker kaufte, sondern einen relativ neuen. Ein kleiner Pin, der zwei Fahnen zeigt. Die eine ist Rot mit einem weißen Halbmond und Stern darauf. Fast unverändert zu damals. Die andere jedoch ist Schwarz, Rot und Gold. „Waffenbrüder” sind die moderne Türkei und das heutige Deutschland wieder, denn sie sind beide Teil der NATO. Doch mit einem Blick auf die aktuelle Politik frage ich mich, wie lange das noch so bleibt. Vielleicht sollten unsere Regierungen es wieder mit Postkarten, Zigarettendosen und Porzellantellern versuchen, um unsere Völker wieder mehr auf den Weg der Freundschaft zu führen.

Text & Fotos: Navid Linnemann