In meiner Heimat ist eine Verlobung eigentlich keine große Sache mehr. Ich dachte immer, dass ich irgendwann meine Freundin mit einem Ring in der Hand frage, ob sie mich heiraten wolle. Ein schönes Abendessen, Kniefall und fertig. Dass ich jetzt aber eine Türkin heiraten werde, konnte ich ja nicht ahnen. Zu einer richtigen Verlobung gehört in ihrem Kulturkreis noch viel mehr als nur der Ring und die Frage aller Fragen. Es ist fast eine Art „Probehochzeit”, ein richtig großes Event.
Vorbereitung ist die halbe Party
Normalerweise besucht die Familie des zukünftigen Bräutigams die Familie der zukünftigen Braut. Dort spielen die Väter eine zentrale Rolle. Da die Wohnung meiner Verlobten recht klein ist und immerhin bis zu 70 Gäste erwartet wurden, mieteten ihre Eltern ein Café im Istanbuler Stadtteil Kadıköy. Für das Essen wurde die Hilfe ihrer Tanten herangezogen. Jede versprach, eine Kleinigkeit fürs Büfett mitzubringen. Doch damit nicht genug: Wie auch bei einer Hochzeit musste ein besonderes Kleid her. Selbstverständlich mit dazu passenden Schuhen.
Wir entschieden uns, als Verlobungsringe bereits unsere späteren Hochzeitsringe zu verwenden. Diese würden wir dann erst an der anderen, der rechten, Hand tragen. Auch ein besonderes Tablett mussten wir vorbereiten. Oft werden hier aufwendig dekorierte Silbertabletts genutzt, auf denen obligatorisch eine kleine Schere und die beiden, mit einem roten Band verbundenen Ringe liegen. Die Tabletts, Nişan tepsisi genannt, sind häufig in Weiß und Silber gehalten. Wir wollten jedoch etwas Spezielleres: ein antikes Florentinertablett in kräftigem Rot und Gold. Frische Rosen, eine goldene Stickschere und als Highlight von meiner Mutter angefertigte Miniringkissen. Mehr Protz als Kitsch. Ein bisschen osmanisch und doch auch europäisch. Eine Vorliebe, die wir beide teilen.
In der Türkei ist es üblich, dass kleine Geschenke an die Gäste verteilt werden. Ein Andenken an den besonderen Tag des Paares. Wir entschieden uns für ein Foto aus dem letzten Sommer, welches wir auf Magnete drucken ließen. Mit Herzen und unseren Anfangsbuchstaben verziert verpackten wir es in kleine Geschenksäckchen.
Noch eine Playlist für die Hintergrund- und Tanzmusik erstellt, Getränke eingekauft und der kleine „große Tag“ konnte kommen.
Eine Aufgabe wurde mir jedoch allein gestellt. Denn wer eine türkische Frau heiraten möchte, der muss mindestens mit einem Strauß Blumen und Pralinen in der Hand auftauchen. Sonst wird das nichts.
Um ihre Hand anhalten ist nicht mein Job
Meine Familie reiste eine Woche vor der eigentlichen Verlobung an. Dies hatte besonders für meinen Vater einen entschiedenen Vorteil. Bei einer türkischen Verlobung hält nämlich nicht der zukünftige Bräutigam um die Hand seiner Auserwählten bei deren Vater an, sondern er schickt seinen Vater vor. Normalerweise im Beisein der gesamten Verwandtschaft wird dann mit der „Erlaubnis Gottes und des Propheten” um die Hand der Tochter für den Sohn gebeten. Ich hatte mir von meinem Vater gewünscht, dass er die übliche Formel auf Türkisch vorträgt. Und so saßen wir wenige Tage vor der Feier mit unseren Eltern und Geschwistern im kleinen Kreis zusammen. Zunächst gab es ein ausgezeichnetes Abendessen von Dileks Mutter mit mehreren Gängen (und einem Glas Rakı). Für unsere Eltern war es das erste Treffen, doch sie fühlten sich offensichtlich wohl. Trotz der fehlenden gemeinsamen Sprache war es den gesamten Abend lang keinen einzigen Moment still.
Dann war es so weit. Mein Vater hielt erst eine kurze Ansprache auf Deutsch, in der er betonte, wie wichtig ihm dieses Ereignis sei. Immerhin hatte ich es geschafft, dass er nach 35 Jahren wieder ein Flugzeug bestiegen hatte, wofür ich ihm wirklich sehr sehr dankbar bin. Da wir mit Göttern und Propheten nichts anfangen können, entschied sich mein Vater, beim nun folgenden offiziellen Teil für den kurzen Satz “Kızınız Dilek’i oğlumuz Navid’e istiyoruz” (Wir wünschen uns Ihre Tochter Dilek für unseren Sohn Navid). Und weil ihr Vater einverstanden war, war Dilek nun meine Verlobte. Ganz offiziell, jedoch zu diesem Zeitpunkt noch ohne Zeremonie.
Zum Abschluss gab es ein Feuerwerk an Traditionen
Die offizielle Verlobung fand am darauffolgenden Samstag statt. Es war sicherlich eine schöne Feier. Allein die Zeit fehlte mir, sie auch dementsprechend zu genießen. Als wir mittags am Veranstaltungsort waren, das Büfett aufgebaut und der Computer für die Musik angeschlossen war, kamen schon die ersten Gäste. Von nun an waren Dilek und ich eine gefühlte Stunde damit beschäftigt, Hände zu schütteln, zu umarmen und die Wangen von Menschen zu küssen, die mir gerade erst vorgestellt worden waren.
Jeder Zweite wollte ein Foto mit uns auf der Bühne, während schon das Essen freigegeben wurde. Als alle Gäste begrüßt und fotografiert waren, starteten wir sofort das Programm. Nur durch Zufall schaffte ich es, ein gefülltes Weinblatt in meinen Mund zu schieben.
Die verschiedenen Bräuche wurden nun zelebriert. Zunächst der wichtigste: das Anstecken der Ringe. Hierzu bestiegen wir mit Hasan, einem Verwandten, die Bühne. Das Ringtablett wurde angereicht. Nach ein paar Worten, welche die Verbindung unserer Familien begrüßten und die Kernelemente einer glücklichen Beziehung hervorhoben, steckte uns Hasan die Ringe an und zerschnitt das rote Band mit der kleinen Schere. Die um uns versammelten Gäste verschwammen für mich zu einer Masse aus Beifall und dem Klicken von Fotoapparaten.
Nun kamen auch die Gäste einzeln zu uns auf die kleine Bühne. Wir bekamen Münzen aus Gold und Geldscheine angesteckt. Wieder wurde umarmt, geküsst und fotografiert. Dass in der Türkei zu solchen Anlässen Gold geschenkt wird, hat den Hintergrund, dass dem jungen Paar ein Wert in die Hand gegeben wird, den es bei Bedarf wieder in Geld umtauschen und so die gemeinsame Zukunft finanzieren kann.
Für einen weiteren Brauch wollte ich eigentlich im Vorfeld trainieren. Meine Zukünftige servierte mir türkischen Kaffee. Allerdings nicht gesüßt, sondern gesalzen. Symbolisiert wird hier, dass der Mann (sofern er denn den Kaffee gut runter bekommt) die Schwierigkeiten in der Ehe ebenfalls gut meistern wird. Oder, je nach Meinung, dass er das möglicherweise versalzene Essen seiner späteren Frau tapfer isst. Zu meinem eigenen Erstaunen fand ich den salzigen Kaffee sogar ganz lecker. Offensichtlich brauche ich weder Eheprobleme noch versalzenes Essen zu fürchten. Ich quittierte das köstliche Heißgetränk mit einem 50-Lira-Schein unter der Tasse, bevor Dileks Tante Nevin das Geschirr an sich nahm. Ein Symbol der Dankbarkeit an jene Tante, die sich während der Kindheit meiner Verlobten hauptsächlich um sie gekümmert hat.
Auch ein kurzer Tanz, vor dem ich mich hatte drücken wollen, das Anschneiden einer Torte und gegenseitiges Füttern gehören zu den übrigen Bräuchen einer türkischen Verlobung. Ganz zu schweigen von der mitgebrachten Schokolade, ohne die ich nicht hätte erscheinen dürfen. Mit den rot verpackten Schokoladenherzen auf einem silbernen Tablett schritt ich noch ein letztes Mal durch unseren Festraum. Dann hatte ich alle Bräuche gemeistert.
Die Gäste verschwanden genauso schnell, wie sie gekommen waren. Lediglich mit unseren Freunden gingen wir noch in einem anderen Café etwas trinken, um den Abend gemütlich ausklingen zu lassen. Unsere türkische Verlobung war vorüber. Meine Pflicht war getan und zwei Ringe verbanden mich mit der Frau meiner Träume.
Text und Bilder: Navid Linnemann