Es ist eigentlich gar nicht so weit von Istanbul nach Berlin. 3½ Stunden vom Atatürk Flughafen bis Tegel. Aber dieses Mal dauert es für mich eine Woche. Denn ich nehme den Zug und treffe freundliche Schlafwagenkontrolleure, lehne mich aus offenen Wagentüren und bekomme ein anderes Gefühl für die Entfernung der zwei Metropolen.
Istanbul – Sofia
Am Bosporus beginnt die Reise. Einst fuhr hier am Sirkeci Bahnhof nach Stationen in Paris, München, Wien und Budapest der Orient-Express ein. Mittlerweile ist der Bahnhof nicht mehr in Betrieb, er dient nur noch als Museum. Stattdessen soll der Zug um 22:40 Uhr ab Halkalı in der Nähe des Flughafens starten. Der Shuttle vom Sirkeci Bahnhof fährt um 21:30 Uhr ab, das sollte nach dem Feierabendverkehr ja selbst für Istanbul genug Zeit sein. Ist es nicht. Wegen eines Riesenstaus muss der Shuttlebus durch kleine Wohnviertel fahren, um 22:30 Uhr ist Halkalı noch immer nicht ausgeschildert und der Bus fährt vorbei an kleinen Bakkals durch Istanbuls Vororte. Die Stimmung im Bus ist zunehmend angespannt: Ein Mann mit Cowboyhut guckt permanent auf seine Uhr, ein französisches Backpacker-Pärchen überprüft mehrere Minuten lang sein Ticket und eine türkische Oma versucht sich als lautstarkes Navigationsgerät. Um 22:50 Uhr erreichen wir das Zughäuschen von Halkalı und hasten gemeinsam zu den Gleisen. Und tatsächlich wartet der Nachtzug noch. Später merke ich, dass wir 30 aus dem Bus eh die einzigen Passagiere sind.
Die beiden türkischen Schlafwagenkontrolleure sprechen fließend Englisch und verteilen uns auf freie Abteile, sodass es nicht zu eng wird. Dann bringen sie Kissen, Laken, Wasser und ein Trinkpäckchen mit Aprikosensaft. Die Schaffner begleiten uns bis Sofia und kümmern sich um die Abwicklung der Grenzkontrollen. Wenn sie gerade Zeit haben, sitzen sie im Nachbarabteil und rauchen entspannt Zigaretten.
Die Liege ist lang genug, mein Abteilpartner Lucky aus Australien ist freundlich und durch das offene Fenster kommt genug frische Luft rein: Beste Voraussetzungen für eine gute Nacht, besser als in manchem Hostel. Dafür gibt es in Hostels keine Grenzkontrollen nach Mitternacht: Um 2:30 Uhr erreichen wir Kapıkule, die Schlafwagenkontrolleure klopfen uns alle wach und wir stellen uns in der Schlange beim Grenzpolizisten an. Zurück im Zug kommen 20 Minuten später die bulgarischen Grenzpolizisten und die Zollbeamten. Danach können wir die Tür endlich wieder abschließen und bis Sofia schlafen. Die Sonne geht über Bulgariens Feldern auf, ich trinke den Aprikosensaft und genieße das romantische Klischee des Zugreisens.
Info: Tickets für die Strecke können im Sirkeci Bahnhof (Nähe Eminönü) am Schalter 4 (International Tickets) gebucht werden. Ein Ticket im 4er-Liegewagen kostet 120 Lira, ein Ticket im 2er-Liegewagen (inklusive Kühlschrank, eigenem Waschbecken und Garderobe) kostet 140 Lira. Der Shuttle um 21:30 Uhr ist inklusive. Der Zug fährt um 22:40 Uhr los und erreicht Sofia gegen 9:30 Uhr am nächsten Morgen. Es gibt keinen Imbiss an Bord, daher ist es sinnvoll, Essen mitzunehmen.
Sofia – Belgrad
Weil die serbische Eisenbahngemeinschaft aktuell Probleme mit der Finanzierung des Diesels für den Nachtzug hat (Quelle: Seat61.com), fährt nur ein Zug pro Tag von Bulgariens in Serbiens Hauptstadt. Also bleibe ich eine Nacht im sehr reizvollen Sofia und fahre am nächsten Morgen um 9:40 Uhr weiter. Die zwei Wagen sind mit Graffitis überzogen, drinnen sitzen vor allem europäische Touristen wie ich. Zwischen Bulgarien und Serbien sind die Grenzkontrollen entspannt, wir können im Zug sitzen bleiben. Das beste an der Fahrt ist, dass im Zwischenbereich der beiden Wagen die Türen offen bleiben, sodass ich mich seitlich aus dem Zug neigen kann, um frische Luft zu bekommen. Ansonsten ist hier der mehr oder weniger offizielle Raucherbereich. Ich unterhalte mich ein bisschen mit einem Serben in meinem Alter, der sich am meisten über den Zug aufregt: “It’s the shittiest train we have in Serbia. This is not Europe. I can’t believe why they take the good trains only inside Serbia. It’s a shame.” Dann zieht er lange an seiner Zigarette. “But at least I can smoke on that train.”
Info: Tickets können direkt in Sofia am Schalter 21 in der Bahnhofshalle gebucht werden und kosten 40 BGN (20 Euro). Platzreservierungen sind ohne Bedeutung. Es gibt auch hier keinen Imbiss an Bord, Essen sollte daher mitgebracht werden. Die Fahrt dauert etwa 12 Stunden, auch wenn sie auf dem Ticket kürzer angegeben wird.
Belgrad – Budapest
Von der serbischen Hauptstadt geht meine Reise zwei Tage später weiter in die ungarische Hauptstadt. Um 11:40 Uhr startet der ebenfalls mit Graffitis verzierte Zug in Belgrad. Über Novi Sad fahren wir an die Grenze zur EU, wo uns mitten im Nirgendwo Grenzpolizisten kontrollieren. Kurz danach habe ich dann sogar wieder Internet ohne Roaming-Gebühren. Auch in diesem Zug lassen sich die Fenster bis zur Hälfte runter schieben – dann braucht man auch keine Klimaanlage. Abends um 20:30 Uhr erreiche ich den wohl schönsten Bahnhof der Tour: Budapest Keleti.
Info: Die Tickets können wieder direkt am Schalter in Belgrad gekauft werden (an Schalter 12 in der Bahnhofshalle). Eine Fahrt kostet etwa 18 Euro. Erneut gibt es keinen Imbiss an Bord, auch an Wasser solltet ihr daher denken. Pro Tag fahren drei Züge auf dieser Strecke: Um 7:36 Uhr, 11:35 Uhr und 21:50 Uhr (über Nacht) – die Fahrt dauert etwa neun Stunden.
Budapest-Berlin
Als ich mich auf den Weg zum Bahnhof mache, fällt mir ein, dass ich das Ticket für den letzten Abschnitt der Tour noch ausdrucken muss. Panik. Ein Geldwechsel-Laden kann mir leider nicht helfen. Doch dann rettet mich ein Internetcafé, deren Existenzberechtigung ich bis dahin immer hinterfragt hatte. Nun bewahrt es mich vor Diskussionen mit ungarischen Schaffnern über Online-Tickets. Wenig später liege ich auf meiner Liege im 6er-Abteil. Mit dabei ist ein Kind, das für die perfekte aromatische Einstimmung erst mal gewickelt wird. Fenster lassen sich in diesem Euro-Nightliner übrigens nicht öffnen. Zwei Stockwerke über dem Kind und seiner Mutter trinken Kerstin aus Kopenhagen und ich ungarischen Rotwein und essen Pick-Ups. Es fühlt sich ein bisschen wie im Ferienlager an. Nur mit weniger Platz. Morgens um halb neun weckt uns der ungarische Schaffner. Zum Frühstück bringt er uns ein verpacktes Schokocrossaint und ein Orangensaft-Trinkpäckchen.
Info: Die Tickets können online auf der Website der Deutschen Bahn gekauft werden (www.bahn.de). Es kann sein, dass mit der App kein Kauf möglich ist – auf der normalen Website sollte es aber dennoch funktionieren. Die Ticketpreise variieren je nach Buchungszeit, mit einem Sparpreis kann man aber mit etwa 60 Euro im Liegewagen rechnen. Die Fahrt dauert 13 Stunden, einen Imbisswagen gibt es auch hier nicht.
Text und Fotos: Laurenz Schreiner