So war das schon immer mit der Politik: Wenn die Interessen von Staaten aufeinander abgestimmt sind, vertragen sie sich. Wenn die Interessen kollidieren, gibt es Streit. Derzeit kracht es zwischen Deutschland und der Türkei. Wie blöd! Denn das bedeutet für „uns“ Deutschtürken mal wieder, in beide Richtungen erklären, deuten, Fragen beantworten zu müssen. Wieder Universal-Experte für Politik, Wirtschaft, Geschichte, Religion, Kultur, Sozialpsychologie, Geostrategie, Internationale Beziehungen und all ihre Nebengebiete sein zu müssen. Für beide Länder, wie sich von selbst versteht. Jetzt dürfen wir wieder öfter als ohnehin schon aus dem Stehgreif ganze Vorträge zum Kurdenkonflikt, zum Krankenversicherungs-Status der Flüchtlinge in Deutschland, zur Etymologie des Begriffs „Dschihad“, interpretiert anhand relevanter Koranverse, halten. Tauchen neue Namen auf der politischen Bühne auf, müssen wir auf Anhieb die Biographien dahinter runterbeten können, während alle anderen diese nicht mal vernünftig aussprechen können.
Das ist für mich die Quintessenz der Krise in den deutsch-türkischen Beziehungen. Denn so komplex ihr gesamter Ursachenzusammenhang ist, so unbedeutend kann er werden, wenn es der politische Pragmatismus erfordert. Das Ziel, ein ein-Mann-Regime zu etablieren, verfolgt Erdogan nicht erst seit kurzem. Und die Doppelmoral, mit der Deutschland – und Europa – ihre Außenpolitik manchmal ausrichten, ist auch nichts Neues. Krisen kommen und gehen, eine Sache aber ändert sich nie: Die Selbstverständlichkeit, mit der „wir Deutschtürken“ uns in dem Spannungsfeld der Erwartungen bewegen müssen.
Hinsichtlich zwischenstaatlicher Beziehungen bin ich zu desillusioniert, um in der Forderung nach mehr Kommunikation und Empathie einen Ausweg aus dieser Krise zu sehen. Aber hinsichtlich zwischenmenschlicher Beziehungen habe ich noch die Hoffnung auf Nachsicht, wenn mal „einer von uns“ nicht sofort Lösungsvorschläge aus der unausweichlichen Autokratisierung der Türkei unter Erdogan parat hat.
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