Türkische Diziler sind weltbekannt. Nun gibt es auch eine erste türkische Netflix-Originalserie. Doch was hat „The Protector/ Hakan: Muhafiz“ zu bieten? Theodora Benesch hat die Serie getestet.
Die erste türkische Netflix-Originalserie steht als Fantasy-Superhelden-Mysterygeschichte überhaupt nicht in der Tradition türkischer Serien, bei denen es häufig um Liebesdramen, Herzschmerz oder Familienschicksale geht, die aber nicht in die Fantasywelt abgleiten. Gemessen an den weltweit ausgestrahlten Stunden sind türkische TV-Serien nach US-amerikanischen Produktionen am erfolgreichsten. Besonders gut kommen die Serien in arabischen Ländern an. Einige Serien finden aber auch in China, Russland, dem Balkan und ganz Amerika ihre Zuschauer*innen.
In Chile führt das zunehmende Interesse an der türkischen Serienwelt sogar schon zu türkischen Namensgebungen bei Neugeborenen. Der Vorname Elif zog im Jahr 2016 an dem gängigen Mädchennamen Veronica vorbei. Die Serien scheinen ganz offensichtlich zu begeistern. Nun gibt es auch eine türkische Serienproduktion auf Netflix. Meine anfängliche Euphorie über eine türkische Netflixserie, die in Istanbul spielt, ging jedoch schon während des Trailers in Enttäuschung über: Fantasy, ernsthaft?!
Zweite Staffel ist bereits in Arbeit
Die erste Staffel der Serie wurde im Dezember 2018 veröffentlicht. Eine zweite Staffel ist in Arbeit. Regie führen Can Evrenol und Gökhan Tiryakı. Çağatay Ulusoy spielt Hakan, den Superhelden, und Hazar Ergüçlü Zeynep, seine schlaue Begleiterin im Kampf gegen den Unsterblichen. Die Geschichte beruht auf dem Fantasyroman „Karakalem ve Bir Delikanlinin Tuhaf Hikayesi“ der türkischen Autorin Nilüfer Ipek Gökdel.
Ursprünglich entstand die Geschichte um den jungen Istanbuler Anfang der 2000er Jahre als Skript, das Gökdel an TV-Sender verkaufen wollte. Da sie jedoch keine Abnehmer*innen fand und eine Eigenproduktion nicht in Frage kam, entschied sie sich einige Jahre später, das Skript in einen Roman umzuschreiben – die Grundlage für den türkischen Superhelden.
Vom einfachen jungen Mann zum Superheld
Hakan, ein scheinbar normaler junger Mann aus Istanbul, aufgewachsen im Großen Bazar, träumt mit seinem besten Freund und Mitbewohner Memo von einem eigenständigen und besseren Leben. Für die Finanzierung eines eigenen Geschäfts widersetzt er sich den Anweisungen seines Adoptivvaters und versucht heimlich, ein Hemd aus Familienbesitz zu verkaufen, für das jemand viel Geld bietet.
Damit ändert sich Hakans Leben und Schicksal radikal: Durch eine Schießerei beim versuchten Verkauf des Hemdes wird sein Adoptivvater tödlich verletzt und Hakan lernt am Sterbebett seines Adoptivvaters sein wahres Schicksal kennen. Er ist der Beschützer (muhafiz) der Stadt Istanbul. Mit dem Hemd ist er unverwundbar, was nötig ist, im Kampf gegen den bösen Unsterblichen. Seine Aufgabe ist es nun, den letzten lebenden Unsterblichen zu töten – ein scheinbar in sich widersprüchlicher Satz, der trotzdem genauso gemeint ist.
Die klassische Schlacht zwischen Gut und Böse
Unterstützt wird er dabei von den Loyalen (sadik olanları), besonders von zwei Vertrauten seines Ziehvaters, Zeynep und ihrem Vater. Sie müssen Hakan für den Kampf mit dem Unsterblichen trainieren und die nötigen Utensilien, Ring und Dolch, wiederfinden, mit denen der Unsterbliche gefunden und getötet werden kann.
Im Großen und Ganzen geht es um den Kampf für die große Liebe, die epische Schlacht zwischen Gut und Böse, die Vergangenheit, die die Moderne überschattet. Es ist die klassische Heldengeschichte: Einfacher Junge rettet die Welt – oder zumindest Istanbul.
Eine starke weibliche Hauptfigur – aber keine Superheldin
Wer schon einige türkische Serien geschaut hat, mag hier überrascht sein: Im Gegensatz zu vielen türkischen TV-Serien mit zweistündigen Folgen, dauert eine Folge von The Protector nur 40 Minuten. Die weibliche Hauptfigur ist zwar nicht die Superheldin der Geschichte, nimmt aber durch ihr kämpferisches Auftreten eine dominante Rolle in der Serie ein – sie ist eine starke, schlaue Frau, die der männlichen Hauptfigur in fast allen Dingen überlegen ist.
Die Geschichte ist teilweise spannend, wird zum Ende hin aber immer zäher. Was The Protector außerdem noch von vielen anderen türkischen TV-Serien unterscheidet, ist, dass die Charaktere in der Netflix-Serie unzensiert Alkohol trinken.
Istanbul in all seinen Klischeebildern
Vor Stereotypen schreckt die Serie nicht zurück. In den ersten zehn Minuten der Serie werden Klischeebilder der Türkei und Istanbul bedient: Balat, Hagia Sofia, Simit-Straßenverkäufer, Çay, Fal, Kinderarmut, der Bosporus, Katzen, Istiklalszenen, Großer Basar. Und: Alle Frauen verlieben sich in den Helden.
Neben Fantasy sind aus der Serie unterschwellig auch Bezüge zu gesellschaftspolitischen Zustände und Entwicklungen der Türkei herauszulesen. Hakan steht dabei symbolisch für einen Teil der Jugend der Türkei. Er orientiert sich am Bild einer globalisierten Moderne, möchte „modern“ sein und leben. Er hat kapitalistischen Werte verinnerlicht, sein Idol ist ein Unternehmer und Milliardär. Seine ökonomische Situation ist schlecht, Bootstouren und Handy-Firma haben nicht funktioniert. Dass es also nicht ausschließlich um realitätsferne Themen und Happy Endings geht, lese ich auch aus dieser Botschaft: Es wird gesagt, dass in Märchen immer die Guten gewinnen und diese Geschichte kein Märchen sein muss.
Ein Bösewicht mit deutschem Akzent?
In der Türkei ist die Serie derzeit ziemlich populär. Vielleicht aber auch gerade aus dem Grund, dass es eben die erste türkische Netflixserie ist – oder wegen des Schauspielers Çağatay Ulusoy. Meiner türkischen Freundin ist zudem sofort der deutsche Akzent im Türkisch des Handlangers des Bösewichts aufgefallen. In der Geschichte wird an einer Stelle tatsächlich thematisiert, dass er merkwürdig spricht, wie wenn er aus einem anderen Land käme.
Ich habe zwei weitere Meinungen zu der Serie von meinen türkischen oder turkodeutschen Freundinnen eingeholt. Meine türkische Freundin gibt sieben Sterne. Die andere, die absolutes Çağatay-Ulusoy-Fangirl ist, gibt neun Sterne nur für Çağatay. Ich, kein Fantasy-Fan, vergebe vier. Insgesamt gibt es deshalb rund 6 von 10 Sternen.
Text
Theodora Benesch (Gastautorin)
Foto
Netflix
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