Damals auf dem Spielplatz haben wir dieses Spiel schon gespielt: „SPIEGEL!!!“ riefen wir mit hochgehaltener Hand bei Nichtgefallen eines kindlichen Kommentars, um die ungewollten Worte zurück zu spiegeln. Das Pendant zu: „– Selber!“
20 Jahre später spiele ich immer noch, fasziniert von Licht, mit Spiegeln und Reflexionen in Dimensionen. In der Stadt des nahezu immer glitzernden Bosporuses hat das Brechen des Lichtes seinen besonderen Reiz. Die Lichtstrahlung ist hier einfach eine andere als in Europa. Istanbul ist Vielschichtigkeit. Es ist uneinheitlich, verflochten, verzweigt, vertrackt und verworren. Das schwer fassbare Spektrum versucht sich mir auf viele Arten zu erklären. Immer drauf ankommend, von welcher Perspektive ich die Dinge betrachte.
Die Vielfalt an Ebenen, Menschen, ihren Motivationen, Visionen und Lebensstilen lichtdurchflutet mich immer noch wie in den ersten Tagen, an denen ich mich immer wieder fragte, wer hier das größere Chaos sei, Istanbul oder ich? Hier legt sich eine Fläche über die andere; Und in einem anderen Licht legt die eine Schicht die nächsten frei. Wir sind uns hier alle einig: Man findet etwas ganz Besonderes in dieser Stadt. Vielleicht sogar ohne vorher gewusst zu haben, dass man danach sucht. Ein ganz besonderer Standort, der gerade wegen seiner Komplexität (un)bewusst Suchende einlädt, belohnt und ihnen neue Perspektiven aufmacht.
Diese geballte Ansiedlung an Ebenen versuche ich in der Fotorreihe „INDRAS PRISMA“ mit der Betrachtung durch ein quadratisches Prisma zu fassen. Der kleinen gläserne Würfel ist mit Abstand mein Lieblingsspielzeug und ich bestaune das Spektrum an Vielschichtigkeit durch den Sucher meiner Kamera. Das Licht bricht sich im Prisma wellenförmig und reflektiert multidimensional die Farben und Facetten Konstantinopels. Ansatzweise erklärt sich die türkische Kultur und Gesellschaft und das unfassbare Chaos der Metropole für mich metaphorisch in diesem Prisma. Der Name „Indra“ spielt auf das buddhistische Sinnbild „Indras Netz der Juwelen“ an, eine Metapher für die Struktur unserer Realität. Immer wieder stelle ich fest, wie viel wir unbewusst in Menschen, Begegnungen und Orte hineinprojizieren. Sehen wir dabei die Dinge wie sie sind oder vielleicht doch eher wie wir sind?
Die spiegelnde Eigenschaft eines Prismas fassen wir in uns. Mein Gefühl ist sehr oft eine Reflexion meines Umfelds und beeinflusst meine Wahrnehmung. Zu oft vergessen wir, welche Bedeutung ein Strahlen haben kann. Wie ein nettes Wort, ein offenes Ohr, ein Kompliment oder eine kleine Aufmerksamkeit der Anstoß für das Verstreuen von Licht sein. Ich trage nicht selten das Lächeln einer Person, die es mir vorher gab.
Unsere Wege sind komplex und mehrdimensional wie eine Collage. Ist es da nicht fragwürdig, welchen Ausmaß unsere Fläche und Deckungsgleichheit unsere Optik hat?
Letztens überraschte mich ein Freund zum Abschied mit einem sehr herzlichen Kompliment. Augenzwinkernd formte ich meine Hand zu einer Fläche: „–Spiegel!“
Text und Bilder: Maximiliane Wittek