Ramadan hat begonnen und das Zuckerfest steht auch bald vor der Tür: Eine kleine Aufklärung für alle, denen zu diesem Thema gar nichts einfällt.
Es ist schon seltsam, einen ganzen Monat lang schlagen sich ganze Familienkollektive auf den Straßen Neuköllns die Nächte um die Ohren. Und trotzdem dämmert es einem erst, wenn sich die jährliche Schlange vor den Moscheen bildet: Schon wieder Ramazan verpennt. Dieser Anfängerfehler kann Nicht-MuslimInnen in Deutschland natürlich leicht einmal unterlaufen. In Istanbul bräuchte man schon Scheuklappen, um einen ganzen Fastenmonat nicht mitzubekommen. Auch wenn das Fasten beziehungsweise die Fastenzeit, mittlerweile den meisten unter uns ein Begriff ist, herrscht auf die Frage, wieso genau und vor allem wann gefastet wird, meist betretenes Schweigen. Um jetzt nicht alle deutschen Wahl-IstanbulerInnen und nicht-türkischstämmigen BerlinerInnen der Islamignoranz zu bezichtigen: Es ist nicht so einfach mit dem Fasten und den damit einhergehenden Feierlichkeiten. Hierzu eine Anekdote aus dem alltäglichen Leben: Wir schreiben das Jahr 2015, Sommer. Bei sportlichen dreißig Grad im Treppenhaus treffe ich meinen lieben Almancı Nachbarn Ö., der mich keuchend nach Expertise fragt, nämlich ob ich als „Islamistin“ (Häufig auftretendes Missverständnis im Straßenslang Islamwissenschaft und Islamismus als Synonyme zu verwenden, etwas bedenklich, aber man gewöhnt sich dran) wüsste, warum zum Teufel er eigentlich einen ganzen verdammten Monat fasten müsste, und wieso dann auch noch im Sommer. Danke für die Bestätigung, lieber Ö., ich hatte bereits vorher den Verdacht, dass nicht nur ich bei den W-Fragen betreffend Ramazan etwas im Dunkeln tappe.
Nach Jahrzehnten wiederkehrender Debatten über Multikulti und religiösen Pluralismus, wer hätte das gedacht: Vorletztes Jahr wurde das Festtagsgebet, welches das Ende des Fastenmonats markiert mit einer Live-Übertragung aus der Moschee Penzberg im tiefsten Bayern in das Programm des Bayrischen Rundfunks integriert. Vier Uhr morgens mag nicht die beste Sendezeit sein, dennoch scheint spätestens mit dieser Berichterstattung samt Imam-Interview jegliche Legitimation für Wissenslücken aus dem Weg geräumt zu sein. Außerdem ist das Fasten neben dem Gebet, der Pilgerfahrt, dem Bekenntnis und der Almosensteuer eine der berühmten fünf Säulen des Islams und daher eine echt große Nummer, der es sich lohnt, auf den Grund zu gehen. Hier ein paar sachdienliche Hinweise bezüglich der demnächst auf uns zukommenden Events:
Die Uhr geht nach dem Mond
Wächst man in einem christlichen, oder zumindest christdemokratischen Land auf, ist man klare Termine gewöhnt: Weihnachten, Ostern, Pfingsten, alles festgelegt und steht auch schon im Terminkalender. Ö. und ich hatten Ramazan und demzufolge auch das Fastenbrechen (iftar) schon länger im Verdacht, jedes Jahr irgendwie wann anders zu sein.
Der genaue Zeitpunkt von Ramazan und dem dreitägigen Zuckerfest im Anschluss richten sich nach dem Mondkalender, der 354 Tage verzeichnet. Übersetzt in den Kalender, der bei uns an der Wand hängt, bedeutet das pro Jahr eine Verschiebung des Ramazanmonats um elf Tage nach vorne. Nach dem Mondkalender, der sich an der Sichtung der Mondsichel statt an der der Sonne orientiert, wird dann der Beginn des Fastenmonats Ramazan festgelegt, der nach 29 schweren Fastentagen im Fest des Fastenbrechens (türkisch: Şeker Bayramı/ Zuckerfest) oder arabisch Id al fitr, ausklingt. Da sowohl Fastenmonat als auch Fastenbrechen von MuslimInnen auf der ganzen Welt gefeiert wird, die Sichel des Mondes aber nicht überall gleichzeitig zu sehen ist, kommt es natürlich zu Unregelmäßigkeiten in der Datumsfrage. Selbst innerhalb Deutschlands gab es unterschiedliche Auffassungen, wann die Sichel gesichtet wurde, wonach der Koordinationsrat für Muslime 2008 entschloss, eine einheitliche Regelung, schön deutsch, in Form eines Termins für den Beginn des Fastenmonats und somit auch dessen Ende zu finden. Im Jahr 2008 markierte der erste September den Beginn und der 29. das Ende des Fastens, wobei dann der 30. September für das Fastenbrechen vorgesehen wurde.
Diesen klaren Strukturen gingen übrigens die Verwirrungen im Jahr 1999 voraus, in welchem der Diwan (deutsch-islamwissenschaftlicher Ausschuss der Neumonde) spontan die Fastenzeit einen Tag vor dem geplanten Ende abbrechen musste. Nachdem sich der Mond unverschämter Weise hinter einer Wolkendecke genauerer Betrachtungen entzogen hatte, stellt sich im Nachhinein heraus, dass sich die Mondsichel doch schon verflüchtigt hatte. In Europa verweilt sie nämlich eher kurz in dieser Jahreszeit, so musste man durch dessen Absenz das Fest des Fastenbrechens schnell einen Tag nach vorne verlegen. Via Internet wurde die Meldung im Eiltempo verkündet und in 700 Moscheen wurde, statt wie geplant am Dienstag, bereits am Montag gefeiert, was bei einer Festlichkeit von diesem Ausmaß natürlich ganz schön stressig für die Gemeinde der Gläubigen wurde.
So schwankt das Datum der Feierlichkeiten, je nach geographischer Lage, bis zu zwei Tagen. Die Festlegung des Ramazanmonats erfolgt entweder nach den Regeln traditioneller Himmelsbeobachtung oder moderner Methoden, wie astronomische Berechnung. Die Sichtung der Mondsichel markiert also den Beginn des Fastenmonats, im Fachjargon „Die Geburt des neuen Mondes“. Das Ende der Fastenzeit (immerhin nach 29 statt wie im Christentum nach 40 Tagen) wurde nicht gewählt, weil mehr als ein Monat fasten nicht drin ist, sondern hat selbstverständlich einen historischen Hintergrund: Um 610 n. Chr., der Prophet Mohammed hatte gerade einen Monat gefastet, kam es zu einer ganz besonderen Begebenheit. In „der Nacht der Bestimmung“ (türkisch: Kadir Gecesi/ arabisch: Lailat al Kadr) wurde dem Propheten die erste Sure des heiligen Koran durch den Erzengel Gabriel herabgesandt. Diese Nacht ist das Ende der Fastenzeit und der Beginn der islamischen Zeitrechnung.
Wieso eigentlich Fasten?
Beim Fasten handelt es sich um eine abrahamitische Tradition, also auf den Propheten Abraham zurückgehend. Wann und wie die Tradition des Fastens im Islam verankert wurde, ist nicht ganz klar, eventuell hat sie ihren Ursprung im jüdischen Ashura Fest, mit welchem der Prophet Muhammad und seine Zeitgenossen aufgrund der zahlreichen Juden in der Stadt Medina damals in Kontakt gekommen seien dürften. Das Fasten ist deshalb so wichtig, weil es im Sinne einer Hinwendung zu Gott als Gottesdienst verstanden wird. Der spirituelle Wert dieser Entbehrung liegt in der Lossagung von allen weltlichen Abhängigkeiten und den damit verknüpften vermeintlichen Bedürfnissen. Auf die innere Reinigung folgt dann die Belohnung in Form des dreitägigen Zuckerfestes, das nach der harten Zeit der nächtlichen Mähler, deren Auftakt traditionell übrigens Dattel und Wasser sind, mit reichlich Speisen aufwartet.
Für alle LinguistInnen oder Menschen, die Schwierigkeiten haben sich Fremdwörter zu merken, hier eine Eselsbrücke: Das Wort Ramazan ist arabisch und heißt so viel wie „brennende Hitze“ (z.B. im Bauch) und steht sozusagen metaphorisch für die Dürre im Magen des Fastenden einerseits und für den vakuumähnlichem Zustand des Geistes, der sich bei längerem Verzicht auf Nahrung einstellt, andererseits. Dieser deliriöse Zustand soll den Gläubigen noch empfänglicher für spirituelle Eingebungen, wie Visionen oder Botschaften von Gott machen. Der Prophet Muhammad hatte in der Fastenzeit schließlich seine erste Offenbarung.
Timetable
Es wird von Sonnenaufgang, markiert durch das fajir Gebet, bis Sonnenuntergang, dem maghreb Gebet gefastet. Essen, Rauchen, Alkohol und Beischlaf sind in diesem Zeitraum untersagt. Dieser Zustand soll im Idealfall einen Monat durchgehalten werden und wird erst mit dem Festgebet beendet, welches gleichzeitig das zeremonielle Highlight und der Beginn des dreitägigen Zuckerfestes ist. Zunächst einmal findet sich die Gemeinde zusammen zum üblichen Morgengebet, welches eine Stunde vor besagtem Festgebet stattfindet, also vor der Morgendämmerung.
Warum ist das Festgebet so wichtig? Ganz einfach, als Gebet bedeutet es in spiritueller Hinsicht eine Hinwendung zu Gott. Des Weiteren kommt zum Ende der Fastenzeit die Gemeinschaft der MuslimInnen in der sakralen Stimmung der Dunkelheit zusammen, hungrig und stolz die Fastenzeit, in den meisten Fällen erfolgreich, hinter sich gebracht zu haben.
Für ein süßes Leben
Traditionell kommt ja zu Şeker Bayramı die ganze Familie zusammen, wobei gemeinsam gegessen und gegebenenfalls die Gräber der nicht mehr auf der Erde verweilenden Familienmitglieder besucht werden. Bereits in der Moschee werden reichlich Süßigkeiten verschenkt, vor allem natürlich an Kinder. Außer als Vermittler von Kariesbakterien sind diese auch Träger einer metaphorischen Botschaft: Sie drücken den Wunsch nach einem süßen Leben aus.
Nach den besinnlichen Feierlichkeiten im Kreise der Gemeinde wird es dann etwas anstrengend, da die ganze Familie besucht werden muss, wobei man unterwegs und vor Ort mit kolonya (Kölnisch Wasser) und Süßigkeiten überhäuft wird. Von diesen Strapazen kann man sich dann auf den Sofas der Verwandten und NachbarInnen bei Çay und Baklava erholen und den vorhergehenden Monat Revue passieren lassen. Ein Monat wie dieser geht schließlich nicht spurlos vorbei.
Text: Fatima Spiecker
Illustration: Fatima Spiecker
Redaktion: Tuğba Yalçınkaya
Titelbild: Maximiliane Wittek