– Maria
erfasst am 20.02.2022
(to rant = sich über etwas aufregen; Ranten = Vermischung Deutsch und Englisch)
Wir sitzen zu dritt auf der Bank. Dunkelheit umgibt uns.
Es ist wärmer als gedacht und sitzen auf dem Schal von Lale.
Ich schaue auf das Wasser. Gezielt folgen die Wellen einer Richtung.
Es wirkt rhythmisch und beruhigend.
Der Himmel als Spiegelbild passt sich dem Rhein an, ist tief und ruhig.
Wir sitzen da, trinken unseren Saft und merken unsere Anspannung verlässt uns.
Ein Muskel nach dem anderen entspannt sich, der Kiefer löst sich, die Faust wird zur flachen Hand.
Wir sitzen da und sind müde.
Müde der Blicke, Müde der Kämpfe, Müde des Widerstandes, Müde der Angst.
Es ist der erste Jahrestag des Anschlags in Hanau.
Wir sitzen da, nachdem wir davor Stunden vor der Bühne der Kundgebung standen.
Wir waren da für die Betroffenen, für uns und für so viele mehr.
Wir hielten uns, lehnten unsere Köpfe einander, sahen uns an,
wenn wir seufzten und nickten den Redner:innen zu.
Sie sagen trauern heißt Widerstand.
Sie sagen, nach einem langen kalten Winter voller leerer Blicke und leeren Wünschen
für eine bessere Zukunft, wird der Sommer heiß.
Voller Widerstand wird in der Luft sein.
Die Betroffenheit werden wir zurückschmeißen.
Die vergossenen Tränen werden wir fließen lassen.
Es braucht an Stärke, um vulnerabel sein zu können.
Der Rhein verändert sich in jeder Sekunde und bleibt doch gleich.
Unsere Sorgen stehen an der Promenade und wollen in die Tiefe.
Wir sitzen da, lachen über die kleinen Dinge. Sind müde und wach, reden viel und sind schweigsam.
Das Spiel der guten Migrant:innen spielen wir nicht mehr mit.
Es ist ein endloses Spiel mit Spielregeln, die nicht in unserem Interesse sind.
In einer Welt die dir stets vermittelt, du bist nicht genug,
du bist nicht begehrenswert oder nur begehrenswert aufgrund deines Äußeren,
nicht intelligent genug, nicht ruhig genug, nicht laut genug, nicht normal genug,
ist es eine Form der Revolution, Liebe in sich und für sich zu finden.
Audre Lorde sollte recht behalten. Wir sind nicht die Fremden, die Anderen, die Gefährlichen.
Eine Rede war direkt an uns gerichtet gewesen: „Wir übernehmen jetzt den Laden.“
Ich kriege Gänsehaut. Dieses Selbstverständnis des Seins,
unentschuldigt den Platz einnehmen wofür unsere Großeltern und Eltern
bis heute kämpfen macht mir Mut.
Aber auch Angst.
Es ist der alte weiße Mann vor mir der die ganze Zeit mit dem Kopf schüttelt,
sich immer wieder umsieht, nervös hin und herläuft und bei der Aussage,
dass zu wenige sich mit ihrem Nazihintergrund beschäftigen, es nicht aushält und verschwindet.
Meine Sorgen rücken wieder näher Richtung Bank.
„Ich will in 5 Jahren nicht immer noch darüber reden wollen“, sage ich.
Lale nickt den Kopf: „Ich weiß was du meinst und zugleich brauche ich diesen Austausch mit euch.
Keine einzige Person in meinem Umfeld hat mich gefragt, wie es mir diese Woche geht.
Ich meine nicht dieses normale ‘Wie geht’s? ‘. Ich meine unser ‘Wie geht es dir?‘ Es ist einfach deeper.“
Sofia atmet tief ein und aus: „Wahrscheinlich werden wir in 5 Jahren noch darüber reden.
Ich hoffe nur mit einem anderen Selbstverständnis.
Es ist das Wissen darüber nicht reden zu müssen und zugleich zu wissen,
dass wir uns verstehen, was mich stärkt. Allein, dass wir hier zusammen sitzen ist Widerstand.“
Ich denke wieder an den Satz: Wir übernehmen jetzt den Laden.
Sofort stehen meine Sorgen wieder am Rande des Ufers und springen endlich in den Rhein. Wohin sie fließen?
Ich weiß es nicht. Irgendwo ins Ungewisse.
Wir stehen auf und lassen die negative Energie im Wasser davon fließen.
Wir nehmen unsere Gedanken und Gebete an die Verstorbenen mit.
Das Ranten am Rhein tat gut und wird wohl nicht das letzte Mal sein.