Gurbet ist eines dieser Wörter, die man nur schwer eins zu eins ins Deutsche übersetzen kann. Unsere Gastautorin Esra Ayari beschreibt dieses Gefühl der Sehnsucht, das sie früher bei ihren Großeltern beobachten konnte – und heute selbst nachempfindet.
Da ich momentan getrennt von meiner Familie lebe, facetime ich sehr oft mit ihnen. Dabei muss ich oft an diese Bilder denken, die ich random gemacht habe. Bilder, welche viele von uns kennen. Die Heimat wird angerufen, es wird laut geredet, das Handy macht eine Runde durch den Familienkreis, winken, lächeln, vielleicht ein paar Tränen. Sehnsucht. Trauer. Dass man weit entfernt, getrennt voneinander lebt. Und dennoch eine tolle Möglichkeit in dieser Form miteinander kommunizieren zu können. Schnell und mit Bild.
Mein Dede (Opa) machte aus den Telefonaten mit der Heimat früher ein Fest. Er zog sich für das Telefonieren fein an, setzte sich auf die Polster der Telefonbank und drehte die Telefonscheibe. Nicht immer erreichte er jemanden und probierte es immer, wieder bis er die vertrauten Stimmen hören konnte. Er zelebrierte diese Möglichkeit. Er redete laut, wir mussten alle leise sein, den Fernseher ausschalten. Meine Nene (Oma) hörte mit Tränen in den Augen zu, wie mein Dede mehrfach fragte: „Oralar nasıl?“ (Wie ist es dort?) Sehnsucht. Trauer.
Er musste sich kurz halten, das Telefonat war teuer. Wenn wir Kinder laut wurden, guckte er uns böse an. Ich verstand es nicht. Kindliche Ignoranz. Es waren die wenigen Momente, wo er die Stimmen seiner Brüder, seiner Schwestern hören konnte. „Bizde özledik” (wir vermissen euch auch), sagte er und verabschiedete sich. Er legte auf und es war vorbei. Der Fernseher wurde wieder angemacht, wir wurden wieder laut. So wie es die Sehnsucht immer war für sie. Heute verstehe ich. Ansatzweise.
Text und Foto: Esra Ayari