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“Sobald die Zensur steigt, wird es abstrakter und individueller”

Ein Interview mit dem Leiter des Filmfestivals Türkei Deutschland Adil Kaya

Das Filmfestival Türkei Deutschland (FFTD) geht in die 26. Runde. Vom 11. bis 20. März ist Nürnberg Anziehungspunkt für Liebhaber:innen des türkischen sowie deutschen Films. Der Leiter Adil Kaya (54) hat das Filmfestival mitbegründet. Wir haben mit ihm über die Ursprünge des Festivals, staatliche Kontrolle in der Türkei und seinen filmischen Geheimtipp gesprochen.

Maviblau: Herr Kaya, türkische Filmveranstaltungen gibt es einige. Was ist das Besondere am Filmfestival Türkei Deutschland in Nürnberg?

Adil Kaya: Unser Filmfestival ist kein rein türkisches Filmfestival wie in Frankfurt und keine türkische Filmwoche, wie es die Kollegen in Berlin oder München organisieren. Dort liegt der Fokus auf dem Türkisch-Sein und es werden Filme aus der Türkei gezeigt. Das ist wertvoll und soll auch so fortgeführt werden, um die Vielfalt in der Gesellschaft aus der türkischen Perspektive zu zeigen.

Wir haben auch einmal so begonnen. Dann aber festgestellt, dass unser Ziel des kulturellen Austauschs lediglich mit dem Begriff „türkisch“ oder “Türkei” nicht funktioniert. Im Zentrum unseres Filmfestivals steht ein Dialog auf Augenhöhe über gesellschaftliche Themen in beiden Ländern.

Wie ist das Filmfestival in den 90er-Jahren entstanden?

Der Grund waren damals die Anschläge und Progromversuche in diversen Städten wie Solingen oder Hoyerswerda. Das war eine Zeit des Ausländerhasses. Gegen die Vorurteile gegenüber der Kultur aus der Türkei wollten wir etwas unternehmen. Film bietet sich dafür an, da man Ästhetik zeigt und gleichzeitig Informationen liefert.

Was erwartet die Zuschauer:innen beim diesjährigen Filmfestival?

Wir haben wenig Komödien (lacht). Natürlich bieten wir Unterhaltsames, aber es geht viel um Diskurs. Wir zeigen Kurz- und Spielfilme, bei denen sich Regisseure an schwierige Themen herantrauen und mit der Ästhetik der Kunst neue Perspektiven vermitteln.

Und damit ein Filmfestival auch den Namen Festival verdient, haben wir auch Wettbewerbe. Zum einen gibt es den Kurzfilmwettbewerb, zum anderen den Spielfilmwettbewerb. In der Kategorie Filmlandschaft zeigen wir Filme ohne den Zwang des Wettbewerbs. Diesmal sind neben deutschen und türkischen auch Filme aus Frankreich, Belgien und Aserbaidschan zu sehen.

Aufgrund der aktuellen Lage in der Ukraine planen wir gerade auch eine Podiumsdiskussion zum Thema Krieg. Durch die Konflikte in Syrien, Armenien oder im Irak ist dieses Gefühl “Es herrscht Krieg” in der Türkei schon lange greifbar. In Deutschland wird dieses Kriegsgefühl erst jetzt fühlbar.

Viele Filme haben Kammerspiel-Charakter oder beschäftigen sich mit dem Thema Zuhause. Gibt es hier eine Verbindung zu Corona?

Das kann in beiden Ländern festgestellt werden. Für die Produktion wollte man anscheinend in Pandemiezeiten keine großen Risiken eingehen und hat mehr Filme an einem Ort oder sogar in einem Raum gedreht. Es ist interessant, wie viele Themen man trotzdem behandeln kann.

Für die türkischen Regisseure ist es aber auch ein Rückzug auf der künstlerischen Ebene, bedingt durch den politischen Druck. Es gibt zu viele Beispiele an Künstlerinnen und Künstlern, die sich im Gefängnis wiedergefunden haben. Diesen Rückzug ins Individuelle und Private konnte man zuvor auch in der iranischen Filmlandschaft beobachten. Sobald die Zensur steigt, wird es abstrakter und individueller – ziemlich egal in welchem Land.

Dann kommt noch hinzu, dass wir viele Filme von jungen Regisseurinnen und Regisseuren ausgewählt haben. Diese Filme stellen auch deren Spielfilmdebüt dar. Allein aus finanziellen Gründen werden dann oft solche “kleinen” Filme gedreht, die aber enorm wichtig sind.

Viele Filme beim diesjährigen Filmfestival spielen in häuslichen Settings. So auch der Spielfilm Çatlak (Gespalten) von Fikret Reyhan.

Sie zeigen viele gesellschaftskritische Filme und laden immer wieder auch kurdische Filmemacher:innen ein. Wissen Sie, wie die türkische Regierung auf das Festival schaut?

Von unserer Seite gibt es keine Berührungsängste. Auch der Generalkonsul der Republik Türkei wird jedes Jahr eingeladen und ist sehr willkommen. Wir haben uns viele Jahre erfolgreich um Fördergelder aus der Türkei bemüht. Nach dem Putschversuch 2016 haben wir es aber sein lassen, weil für die dortige Regierung der Nationalismus in den Vordergrund trat. 

Um das zu verdeutlichen: In Deutschland erhalten wir Gelder, auch um die Regierungspolitik zu kritisieren. Dieses Feedback wird sogar gewünscht. In der Türkei ist es umgekehrt, da geht es dann in Richtung Werbung für den nationalen Staat. Zumal von dieser Seite dann auch ein Mitspracherecht eingefordert wird. Das ist für uns aber immer eine rote Linie gewesen, egal wer das einfordert. 

Wie können Menschen, die nicht in Nürnberg wohnen, am Festival teilhaben?

Das frage ich mich auch. Es ist schon eine tolle Veranstaltung. Claudia Roth meinte sogar, es sei eines der schönsten Filmfestivals. Online zu sehen, ist aber nur der Kurzfilmwettbewerb.

Ansonsten ist es für unser Filmfestival sehr wichtig, dass sich die Menschen auch begegnen. Dieses Jahr kommen über 70 Künstlerinnen und Künstler. Der menschliche Austausch zwischen den Regisseuren und der Dialog mit dem Publikum funktioniert nur vor Ort. Ich müsste also alle Interessierten bitten, nach Nürnberg zu kommen (lacht).

Was ist Ihr Geheimtipp?

Beim Kurzfilmwettbewerb herrscht immer ein jugendlicher Elan, auch beim Publikum im Rentenalter. Das ist spannend. In der Kategorie Filmlandschaft empfehle ich den Film Du Ich Lenin – unterhaltsam, witzig und hoch politisch. Was will man mehr?

Text: Lukas G. Schlapp

Bild: Filmfestival Türkei Deutschland

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Rough und gleichzeitig verletzlich