Wenn du in eine Stadt kommst, in der Millionen Menschen eine Sprache sprechen, die du – sind wir mal ehrlich – nur in den kühnsten Träumen bruchstückhaft verstehst, dann näherst du dich dieser Stadt mit Instinkten, die du im vertrauten Wohnzimmer-Alltag deines Heimatlandes nur selten benötigst.
Jaja, der Duft des Orients, munkelt man, die olfaktorischen Schätze des Bazaars, ein Abenteuer für unsere gelangweilten Nüstern. Doch auch wenn es heißt, man erkunde eine neue Stadt am besten der Nase nach, so behaupte ich doch, haben da häufiger die Ohren das letzte Wort.
Ankunft in Istanbul. Schnell merkst du, dass offene Augen im Straßenverkehr hier nicht alles sind. Du durchläufst den Verkehr vielmehr ohrengesteuert. Du lernst rasch, dich durch Hupen nicht angegriffen zu fühlen und genießt den Rausch und das RAUSCHEN beim dich-durch-die-Autoschleife-Drängeln. Stehen bleiben? Nicht auszuhalten in dieser so schnellen und bewegungsfreudigen Stadt, auch wenn das Geplärre an den roten Ampeln dir mit einer harschen Männerstimme gebietet, anzuhalten.
Zumindest glaubst du, dass sie das sagt, verstehen tust du es ja nicht. Meistens rätst und rätselst du und versuchst aus dem Wirrwarr des Wortschwalls deines Gegenübers zumindest ein paar Brocken von dem wiederzufinden, was du in deinem Hochschul- oder Online-Sprachkurs so gelernt hast und… verzweifelst daran. Du begnügst dich damit, dem Klang der weichen Wortkonstruktionen und wilden Buchstabenwälder zu lauschen und mit halb geöffnetem Mund darüber zu staunen, dass all die Menschen um dich herum genau wissen, wovon sie reden. Der Klang ihrer Sprache verzaubert dich ebenso wie die türkische Musik, die überall aus den Lautsprechern quillt.
Zwischenruf: Wer kennt das nicht, man ist heimgereist von irgendwoher und Wochen, vielleicht Monate später landet man zufällig bei der Playlist der letzten Reise. Du spürst wieder dieses Kribbeln, Gefühle rauschen durch dein Inneres, vielleicht ein bisschen Gänsehaut? Und dann stehst du wieder dort, wo du das Lied zuletzt in Dauerschleife gehört hast. Eingebrannt. Unter die Haut, in die Gehörgänge, deine Synapsen tanzen wieder dazu. Sie erinnern sich sogar an Momente, diese kleinen feinen, die du nach all dem platten Beantworten von “Und, wie waaaar’s?” fast verloren geglaubt hattest. Diese Abfolge von Klängen und dieser Text, den Chet Faker wieder singt als seist du nie weg gewesen, sie machen etwas mit dir. Sie transportieren dich geradewegs zurück an den Ort deines Glücks.
Doch was keine Spotify-Playlist der Welt für dich behüten wird, sind die Töne, die eine Stadt für dich klimpert, wenn du mal kurzzeitig die Stöpsel aus den Ohren ziehst und wirklich… hinhörst. Sie können dir nur den surrenden Kick des Moments schenken, verstummen, verfliegen im Nu. In keinem Song der Welt wird dir ein Singersongwriter so inbrünstig Simit anpreisen, wie es die Straßenverkäufer entlang des Bosporus tun, wo Dampfer HUPEN und Wellen gegen tanzende Fährbäuche SCHWAPPEN, die unentwegt dieses Motorengebrumm-umm-umm von sich geben.
Und ja, vielleicht erinnert dich das KREISCHEN von Möwen noch an Hamburg. Aber wenn die fliegenden Tänzer mit ihren reinweißen Hälsen in freien Formationen um die Türme kreisen, aus denen der Muezzin gerade ruft (und nein, natürlich verstehst du von ihm erst recht kein Wort – tun das eigentlich die Einheimischen?), dann spürst du sie, diese wohlige Aufregung des Fortseins.
Du wirst es lieben lernen, das Geräusch, das ein Tulpenglas macht, wenn man es von der kleinen Untertasse löst, auf die beim wackeligen Transport zu seinem dürstenden Empfänger etwas heißer Çay geflossen ist, sodass sich Glas und Porzellan nur noch widerwillig mit einem dezenten PLOPPEN voneinander lösen.
Nie vergessen wirst du das krümelnde KRACHEN, wenn sich deine Zähne beim allerersten Biss in einen trockenen Sesamkringel bohren. Oder das KNIRSCHEN von Trockenfutter zwischen Katzenzähnen, das liebevoll von fürsorglichen Istanbulern an Wegesränder gestreut wird.
Du bemerkst beim Spaziergang im Park das KNACKEN von Sonnenblumenkernsamen, wenn gekonnte Esser wie zur Mediation in drei schnellen Schritten den Kern von ihrem salzigen Gehäuse trennen – und die Überreste dann auf die Pflastersteine vor der Parkbank RIESELN lassen.
Und ganz schnell wird das BIEP-BOP – BOUP BOUP – BOBOP BIEP, das die elektronischen Fahrkarten beim Einstieg in die öffentlichen Verkehrsmittel machen, zu einem vertrauten Geräusch für dich. Klingt nach Zuhause. Genau wie das heimelige KNARZEN, wenn du nach einem Tag des Hinhörens müde ins Bett kletterst. Und zum Einschlafen vielleicht noch ein Hörspiel anmachst.
Istanbul ist ein Augenschmaus, keine Frage, doch ebenso lohnt es sich von Zeit zu Zeit, die Augen von innen zu verbinden und dem Soundtrack der Stadt zu lauschen. Nach und nach wirst du mitsingen können, oder, nun ja, zumindest leise mitsummen. Und hast du ihn erst einmal für dich entdeckt, könnte es geschehen, dass er schnell zum neuen Lieblingssong wird.
Und dann drückst du auf Repeat.
Hier geht es zur langen Version des Soundtracks Istanbul.
Text, Bilder, Aufnahme: Sabrina Raap