Das Berlin Istanbul Quartier ist die Idee und Geschichte zweier Freundinnen und außerdem eine Schnapsidee.
BIQ – eine Plattform für kreative Migranten
Das Berlin-Istanbul Quartier, kurz BIQ, ist eine Plattform für deutsche und türkische FotografInnen, bildende KünstlerInnen, DesignerInnen, PerformerInnen und QuereinsteigerInnen „im Dazwischen“. Will heißen, die Wohnsitze der Kunstschaffenden reichen von Eskişehir bis Stuttgart, ihre Arbeiten jedoch reisen um die ganze Welt. Die Künstler treffen einerseits in der virtuellen Welt aufeinander, nämlich im Archiv der Online-Plattform, und andererseits in der Welt der Stofflichkeit: Die an das Kuratorinnen- Team gesendeten Arbeiten werden nämlich in Ausstellungen für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht, zum Beispiel diesen August in Istanbul unter dem Titel: „I’m not yours – places that belong to no one“.
Aber jetzt erstmal von Anfang an: Begonnen hat die ganze Geschichte ausgerechnet in Mönchengladbach, wo die Gründerinnen von BIQ, Aylin und Caro, herkommen. Aylin studierte dann in Düsseldorf und Dortmund, Psychologie und schließlich Malerei auf Lehramt, während Caro nach Berlin ging, um Psychologie und Fotografie zu studieren. Die Lebensräume wechselten, die Freundschaft blieb: 2014 kam es dann in Berlin zur Gründung von BIQ.
Aylin hatte sich seit dem Jahr 2010 mit ihrem damaligen Ehemann, der zwar „ein richtiger Deutscher“ war, aber dennoch Lust auf Istanbul hatte, in Istanbuls Stadtviertel Nişantaşı niedergelassen, in dem sich ja bekanntlich auch Literatur-Nobelpreisträger herumtreiben. Trotz ihres türkischen Namens hätte die Geschichte auch ganz anders laufen können: Aylin ist zwar halb Türkin, aber auch ein Viertel Griechin und ein Viertel Bulgarin und sozusagen Expertin im Thema internationale Beziehungen.
Caro vertrat das Zwei-Frau-Unternehmen währenddessen weiterhin in Berlin. So war die Grundlage für Ideen-Migration gegeben und grenzenloser Kreativität stand eigentlich nichts mehr im Wege, außer natürlich nervige Verpflichtungen wie Businesspläne & Co.
BIQ ist die Idee und Geschichte zweier Freundinnen und außerdem eine Schnapsidee. Also, wenn man die Rahmenbedingungen der Entstehung mit einbezieht. Statt einem Kater, der ja meist eher weniger von produktiven Erkenntnissen geprägt ist, war das Resultat der feucht-fröhlichen Nacht im Falle von Aylin und Caro zunächst ein sogenannter Cluster.
Das Konzept „Cluster“ bedeutet im ersten Schritt, dass in regelmäßigen Abständen ein Opencall for Artists via Internetseite stattfindet. Diese Opencalls haben natürlich einen thematischen Schwerpunkt, zudem die eingesendeten Arbeiten passen sollten. Die aus den BewerberInnen am interessantesten erscheinenden KandidatInnen werden dann auch mit ihrem Profil auf die Website aufgenommen.
Wenn die Leitungen glühen, wird nach einem geeigneten Raum gesucht: Geeignet, das ist gar nicht so einfach, da nicht nur bereits fertiggestellte Werke ausgestellt werden, sondern auch direkt weitergearbeitet wird. Schritt zwei des Projekts beinhaltet nämlich die Durchführung von Workshops von und für KünstlerInnen oder solche, die es werden möchten.
Zu den Partnern und Ausstellungsorten, die bereits als Host dienten, gehörten unter anderem das Project 68 und Bethanien in Berlin und der Mixxer in Istanbul.
Bewerben darf sich erstmal jeder, auch der Disziplinen sind keine Grenzen gesetzt, von Malerei, Plastik, Fotografie bis Performance ist alles dabei. Je nach Umfang muss dann natürlich der Ort des Geschehens gewählt werden. „Dieses Mal werden drei herausragende Performancekünstler auf der Bühne stehen, daher haben wir beschlossen, im Anschluss einfach einen Monat lang Performance-Workshops anzubieten.“
Das Nomadentum ist kein Zuckerschlecken, daher haben die beiden Mädels beschlossen, ein Hauptquartier in Istanbul, gewissermaßen als Basis des Ganzen, einzurichten, schließlich ist das mit dem „Quartier“ im Titel auch ernstgemeint.
Die Suche gestaltet sich wie bereits erwähnt einigermaßen schwierig: „Wir brauchen genug Platz für Ausstellung und Workshops, notfalls eine Bühne. Außerdem ist auch Laufkundschaft nötig. Da gibt es in Istanbul nicht so viele Orte außer Cihangir oder so“, bestätigt Aylin. Bezogen auf das Thema der nächsten Ausstellung „I’m not yours – places that belong to no one” ist das ein wenig ironisch natürlich.
„I’m not yours – places that belong to no one”
Oder auch: Kann ich etwas besitzen, was ich nicht definieren kann?
Zugegebenermaßen hört sich das zunächst mal nach Knoten im Kopf an. Warum? Es ist schwer, sich die Nicht-Existenz von etwas bildlich vorzustellen. Kreativität hat nun aber genau das noch-nicht-vorhanden-Sein als Lebensunterhalt, sie möchte ja schaffen, was nicht existiert. Also keine Angst, weder Künstler noch Besucher werden gezwungen, Michel Foucault und Konsorten zu lesen. Vielmehr sollten die BewerberInnen ihre eigenen imaginären Räume und Utopien schaffen, also solche, die es auf der Landkarte (noch) nicht gibt.
Für die Realos unter euch wäre ein Radweg in Istanbul oder das Hauptquartier von BIQ vielleicht geeignet, um die Fantasie anzuregen. Spaß bei Seite, wer sich schon immer mal eine von ölmalenden Mathematikern errechnete Landschaft oder eine stadtsoziologische Performance ansehen wollte, sollte den August auf jeden Fall in Istanbul verbringen und vorbeischauen.
Informationen und Termine zur Ausstellung „I’m not yours – places that belong to no one“ in Istanbul unter: www.biq-nyc.com
Text: Fatima Spiecker
Redaktion: Sabrina Raap
Fotos: biq