Authentisch
Ultimatives Kriterium für sämtliche als wertvoll erachteten Erlebniswelten. So gut wie alles im Leben deutscher Großstädter muss authentisch sein: Filme, Theaterstücke, Kunstwerke, Bücher. Wegen des enorm hohen authentischen Anteils erfreuen sich iranische Problemfilme und Biographien geknechteter Orientalinnen und Afrikanerinnen besonderer Beliebtheit. Auch in Freundschaften und Beziehungen gilt das Diktat des Authentischen. Nur wenn die Liebe des Partners als authentisch empfunden wird, kann sich eine Deutsche „fallen lassen“ und trotzdem „ganz bei sich selbst“ sein. Solange das Erlebte echt authentisch wirkt, sind alle anderen Qualitätsmerkmale völlig zu vernachlässigen. Als Faustregel gilt: Je dünner das Gelebte, desto wichtiger wird das authentisch Erlebte.
Migrationshintergrund
Mensch mit; politisch extrem korrektes, von Sozialpädagogen, Integrationspolitikern und Gutmenschen verwendetes Substitut für das gängigere „Ausländer“. Die Erfindung des Migrationshintergrunds ist ein besonders gelungenes Exemplar deutscher Integrationskunst: Diskriminierung durch vermeintlich positive Hervorhebung.
unverkrampft
Spezifisch deutsche Befindlichkeit, geprägt durch die Abwesenheit von Verkrampfung, dadurch als angenehm empfunden. Vor allem bei politisch brisanten Themen wie Patriotismus, eigene Geschichte, fremde Zukunft, Vertreibung, Abtreibung und Freudentaumel wird regelmäßig der unverkrampfte Umgang gefordert. Die deutsche Gemütskomparation: verkrampft [Positiv] – unverkrampft [Komparativ] – locker [Superlativ] – entspannt [Exzessiv].
bewusst
Landestypischer Geisteszustand halbgebildeter aber extrem sensitiver Metropolenbewohner. Jegliche Aktivitäten und Handlungen, selbst spontaner Natur, müssen durch das Nadelöhr des Bewussten. Sonst greifen automatisch Urängste wie Kontrollverlust, Verpassen, Überforderung. Fallbeispiele: „Ich möchte mich dieses Mal ganz bewusst verlieben“, „Du musst Nähe auch erst ganz bewusst zulassen“, „Sorry, aber das war mir stückweit gar nicht bewusst“, „Und dann hab ich mal ganz bewusst das Dressing bei meinem kleinen gemischten Salat weggelassen, ich war so stolz auf mich.“
Aus Kerim Pamuks Buch “Allah verzeiht, der Hausmeister nicht”.
Text: Kerim Pamuk
Illustration: Eva Feuchter