Eine der ersten Fragen, die in Gesprächen häufig gestellt wird – die nach der Herkunft – gestaltet sich für mich oftmals als ein kleiner Kampf. Da Freunde, die mehr als eine Sprache sprechen und in mehr als einem Land gelebt haben, oft gleiche Erfahrungen äußerten, will ich dem Phänomen auf die Spur gehen und eine Antwort vorschlagen.
Türke in Deutschland
Wenn ich in Deutschland bin und mich vorstellen muss, also die berühmte Frage gestellt wird: „Wo kommst du her?“, so antworte ich der Einfachheit halber wie folgt: „Ich komme aus Istanbul“. Viele begnügen sich damit, insbesondere wenn man abends mit Freunden unterwegs ist, die Musik laut wummert und es nicht auf die Details ankommt. In anderen Situationen wummert die Musik nicht laut, es ist nicht Abend und es kommt eher auf die Details an. Dann verläuft das Gespräch in etwa so: „Wo kommst du her?“ „Aus Istanbul.“ „Ah, interessant. Du bist also Türke.“ „Nicht wirklich, also ich bin Zaza, aber ja, ich komme aus der Türkei.“ „Was ist das, Zaza?“ „Das ist eine Ethnie, wir sind praktisch Kurden, aber egal, komplizierte Geschichte.“ „Aber türkischer Staatsbürger, oder? Wie kommt es, dass du in Deutschland studierst?“ Meistens antworte ich dann mit folgender Erwiderung, die ich inzwischen so aufsage, als ginge es um die Auflistung allgemeiner Geschäftsbedingungen: „Aaaalso…ich bin in Istanbul geboren, den Kindergarten und die erste und zweite Klasse der Grundschule habe ich in Bochum besucht, danach sind wir wieder nach Istanbul umgezogen, wo ich die Deutsche Schule Istanbul bis zum Abitur besucht habe. Für das Studium bin ich dann nach Deutschland gekommen. Ich bin zweisprachig aufgewachsen. Meine Muttersprache ist Zazaki, aber ich kann sie nicht sprechen, nur verstehen.“ Eventuelle Folgeaussagen die kommen, nachdem mein Gegenüber diese Auflistung verdaut hat, lauten: „Was? Es gibt deutsche Schulen im Ausland?“ oder „Dafür, dass du aber aus der Türkei kommst, kannst du ziemlich gut Deutsch!“, was sicherlich als Kompliment gemeint ist, aber absurd anmutet, angesichts meiner Erläuterung, eine deutsche Schule besucht sowie das Abitur gemacht zu haben und zweisprachig aufgewachsen zu sein. In Deutschland ist also die tendenzielle Schlussfolgerung beim Sich-Vorstellen bei Fremden jene, mich in die Azzlack-Schublade zu stecken.
Almanci in der Türkei
In der Türkei hingegen war ich als Kind für Fremde und Bekannte außerhalb der Deutschen Schule oft ein „Almanci“, einer aus Deutschland. In Deutschland „Türke“ und in der Türkei „Deutscher“. Mit feinen Akzentsensoren spürten die anderen Kinder auch nur kleinste Auffälligkeiten meiner türkischen Aussprache auf und auch Verwandte spaßten darüber, dass die türkische Sprache „völlig verlernt“ wurde. Mit den Jahren fiel es mir leichter, den vom Deutschen herrührenden Akzent zu unterdrücken, was die Tendenz, in die deutsche Schublade gesteckt zu werden, erheblich minderte. Eine interessante Frage, die man mir vor allem in der Türkei stellte, kurioserweise aber kaum in Deutschland, war, ob es mir in Deutschland besser gefallen würde oder in der Türkei. Und ich denke, die Antwort auf diese Frage ist der Knackpunkt bei der Feststellung von kultureller Identität im Allgemeinen. Ich möchte nämlich nicht mit einem der beiden Länder antworten, sondern antworte immer häufiger: „Beide Länder und Kulturen haben ihre Vorzüge“. Ich denke, es ist ein großes Glück, in zwei, drei oder noch mehr Kulturen und mit zwei oder mehr als zwei Sprachen aufgewachsen zu sein. Denn dadurch begreift man die Eingeschränktheit die sich ergibt, wenn man sich auf eine zufällige Zuordnung gewisser Kulturgüter zu einer zufälligen Geographie begrenzen muss. Man will dann so viel wie möglich und das Beste jeder Kultur, die man erfährt, mitnehmen. Dann trinke ich meinen Çay und esse Tomaten mit Beyaz Peynir und danach Rhabarbermarmelade auf Roggenbrot, während ich Kafka oder Orhan Pamuk lese und deutsches Recht studiere. Und schreibe einem äthiopischem Freund auf WhatsApp, während im Hintergrund die CD eines jüdischen Emopunkrockers aus New York, der mit einer Christin verheiratet ist, läuft und eine Buddhastatue auf der Verwaltungsrechtssammlung Baden-Württemberg ruht.
Kulturelle Vielfalt ist nicht tot und keine Lebenslüge, sondern die Zukunft. Die Welt wird engmaschiger vernetzt, kleiner und die Märkte, Sprachen, Intelligenzen wachsen zusammen: das ist die natürlichste Sache der Welt. Wieso nicht etwa die türkische Offenheit und praktische Intelligenz mit der deutschen Ordnung und Systematik verbinden? Darauf gründet letztlich Entwicklung im weiteren Sinne: Auf der Verbindung verschiedener Eigenschaften und ihrer Umsetzung ins Praktische.
Von jeder Kultur das Beste
Die kulturelle Vielfalt bereichert also unsere Identität und letztere ist, abgesehen von einem „Wesenskern“, ständig im Wandel, genau so, wie sich Kulturen wandeln und einander annähern, verbinden und neue Kulturen hervorbringen. Rechtsextreme und rechtspopulistische Bewegungen wollen diesen naturgemäßen Gang der Dinge umkehren, was eine zerstörerische Entwicklung für das Miteinander der Menschen ist. Darum ist es unerlässlich, dass wir, alle, die an eine Gesellschaft glauben, die für ein progressives Miteinander steht, beispielhaft voranschreiten und viele Kulturen erleben; Und mitbringen, was jeder von uns für sich am Besten findet – sei es eine Sprache, eine Umgangsweise, eine Mentalität – und dies zu etwas Neuem verbinden. Und wenn man uns fragt, wo wir herkommen und wir in vielen Kulturen, mit vielen Sprachen groß geworden sind, dann antworten wir am Besten: „Ich bin Weltbürger“. Und will man das nicht zählen lassen, dann erläutern wir ausführlich und mit absoluter Hingabe den von uns gezogenen Pfad durch all die unterschiedlichen Kulturwelten, die spaßigen Seiten einer jeden von ihnen, ihre merkwürdigen Eigenheiten und ihre vielen Gesichter. Diejenigen mit Empathie oder mit ein wenig Neugier haben wir dann für die kulturelle Vielfalt gewonnen oder wenigstens eine Sehnsucht in sie gesetzt, auch wenn sie vielleicht vorerst schlummert. Die meisten Menschen sind empfänglich für Sehnsucht und werden verstehen. Alle anderen gehen uns dann verwirrt aus dem Weg. Auf sie kommt es nicht an.
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Text: Şafak Sarıçiçek