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In Erklärungsnot

Wenn Herkunft immer noch im Fokus steht

Unter dem Hashtag #vonhier teilen derzeit viele Menschen in sozialen Netzwerken ihre Erfahrungen mit der Frage „Woher kommst du?“  – und zeigen, welche Gefühle dieses ständige Nachfragen nach Herkunft in ihnen auslöst. Auch unserer Gastautorin Filiz geschieht es nicht selten, dass ihre Herkunft bereits beim ersten Kennenlernen zum Thema gemacht wird.

Mit dem Namen Filiz, blauen Augen und blonden Haaren bin ich die ultimative Verwirrung in Person. Mein Vorname könnte „türkischer“ nicht sein. Und mein Aussehen nicht „deutscher“. In meiner Kindheit in Deutschland war ich für die meisten einfach nur das deutsche Mädchen mit dem schönen, „exotischen“ Namen. In der Türkei sieht das ein bisschen anders aus. Nicht selten begegne ich Ungläubigkeit, sobald ich mich mit meinem Namen vorstelle. Mein Gegenüber denkt entweder, er oder sie hätte sich verhört, oder ich hätte wohl nicht mehr alle Teegläschen im Schrank: „Heißt du wirklich Filiz?“ „Du siehst ja gar nicht aus wie eine Filiz!“

Wenn ich nicht angeschaut werde, als hätte ich gerade gesagt ich sei die Päpstin, fängt mein Gegenüber an, wie ein Wasserfall auf Türkisch zu reden. Wenn ich auf den türkischen Wörterwasserfall mit nur wenigen Sätzen antworte – da ich die Sprache erst seit Kurzem lerne – ist mein Gegenüber oft ein bisschen gekränkt. Eine Filiz muss schließlich Türkisch können. „Sie will wohl einfach nicht mit mir sprechen“, denkt sich meine Gesprächspartner*in. Wenn ich meinen Gegenüber nun also mit meinem Wörterbächlein unabsichtlich irritiert habe, ist die Konversation schnell wieder vorüber.

Sollte ich die Person dennoch als potentielle Quelle für eine angenehme Konversation einschätzen, beginne ich dann gezwungenermaßen, mein halbes Leben zu erklären: Ja, meine Mama ist deutsch und mein Vater ist türkisch. Deswegen der Vorname. Nein, ich habe kein Türkisch zu Hause gelernt. Genau, ich bin nur bei meiner deutschen Mutter aufgewachsen…

Immer wenn ich mich in solchen Vorstellungsverwirrungen wiederfinde, merke ich, wie weit wir davon entfernt sind, Alltagsrassismus und Stereotype hinter uns zu lassen. Ein Mensch scheint für viele nicht einfach nur ein Mensch zu sein – ein Mensch ist Herkunft. Aber bitte nur eine.

Text
Filiz Sieben

Illustration
Seda Demiriz


Bereits vor dem Hashtag #vonhier haben viele Menschen ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus durch #MeToo in den sozialen Medien sichtbar gemacht. Auch unsere Autorin Tuğba hat hier dazu geschrieben, wie Rassismuserfahrungen sie geprägt haben.

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Rough und gleichzeitig verletzlich