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„Schreiben ist mein Ventil“

Auf einen Çay mit Doǧan Yavuz

Wie ist es, als alleinerziehender Vater Kinder großzuziehen? Mit welchen Herausforderungen und Klischees ist man konfrontiert? Und wie erklärt man seinen Kindern den Tod ihrer Mutter? Doǧan Yavuz schreibt ein bewegendes Buch über die Höhen und Tiefen seines Lebens. 

„Schreiben ist mein Ventil“, sagt der junge Autor. Ursprünglich sollte das Buch nur für seine Kinder sein. Damit sie einmal wissen, wie er sich gefühlt hat, als seine Frau verstarb. Wie er schwere Schicksalsschläge verarbeitet hat – und wie es ihrer verstorbenen Mutter ging. Doch Doǧan Yavuz’ Frau Lucia und besten Freunde war früh klar, dass dieses Buch für eine größere Zielgruppe bestimmt ist. Heute steht „Der späte Start: Wie Veränderung mein Leben veränderte“ in der Regalen der Buchläden – und was als schriftlicher Reflektionsprozess gedacht war, wurde zu einem Buch, das fasziniert und zugleich berührt.

Behütete Kindheit als Enkel türkischer „Gastarbeiter“

Für einen Menschen, der so viel erlebt hat, ist Doǧan Yavuz recht jung. Seine Großeltern kamen als türkische „Gastarbeiter“ nach Deutschland. Hier lernen sich seine Eltern kennen: Gegen den Widerstand ihrer Familien heiraten sie und ziehen von Gütersloh, wohin Doǧans Großvater immigriert war, nach Wuppertal, wo Doǧan Yavuz zur Welt kommt. In Wuppertal bekommen Kinder schon bei ihrer Geburt einen Regenschirm geschenkt, das sagen zumindest die Wuppertaler über sich selbst, denn Wuppertal ist die regenreichste Stadt Deutschlands. Seine Eltern ermöglichen ihren beiden Kindern eine sorgenfreie Kindheit, in der ihr Migrationshintergrund keine allzu große Rolle spielt: „Meine Kindheit ist nicht anders als die anderer deutscher Kinder aus der Mittelschicht – wohlbehütet und unauffällig. Ich habe keinen besonderen Status, „nur“ weil ich türkischer Abstammung bin. Meine Schwester und ich kennen die Rituale und Bräuche unserer Vorfahren, sind aber gleichzeitig Teil der deutschen Gesellschaft“,  sagt Doǧan über seine Kindheit.

An Schicksalsschlägen wachsen

Eine ähnlich sorgenfreie Kindheit möchte der zweifache Vater auch seinen eigenen Kindern bieten. Doch Doǧans Leben erfährt einen Bruch, als seine ehemalige Lebensgefährtin und Mutter der beiden gemeinsamen Kinder nach einer schweren und kurzen Krankheitsphase stirbt. Marias plötzlicher Tod macht aus ihm einen alleinerziehenden Vater, der den beiden Kleinen die schreckliche Nachricht über den Tod ihrer Mutter überbringen muss. Als alleinerziehender Vater kämpft er für seine Kinder, geht arbeiten, lernt kochen, den Haushalt alleine zu managen und wächst über seine Grenzen hinaus. Diesen Prozess verarbeitet und reflektiert er in seinem Buch.  Das Buch macht Mut, sich und seine eigenen Ressourcen kennenzulernen und diese in schweren Zeiten zu nutzen. Gleichzeitig bricht es mit vielen Klischees, die türkischen Männern und Vätern zugeschrieben werden: „Ich habe in dieser schwierigsten Zeit meines Lebens sehr viel gelernt und bin auch vielen Klischees begegnet. Leute waren überrascht, dass ein Mann mit türkischem Migrationshintergrund als alleinerziehender Vater funktionieren kann. Alleinerziehende Mütter, davon hören wir oft. Aber alleinerziehende Väter – dazu noch mit einem türkischen Migrationshintergrund – das scheint zu überraschen und es fällt manchen schwer, das zu verstehen oder zu akzeptieren.“

Greifbare Emotionen bewegen die Leser*innen

Und auch der offene Umgang mit seinen Sorgen und Ängsten stößt teils auf Verwunderung: „Dass ich öffentlich von den Schwierigkeiten, die mir begegneten, berichte und mein Innenleben für ein größeres Publikum öffne, auch das wurde mir manches Mal vorgehalten. Mir wurde gesagt, ich solle als „türkischer“ Mann oder Mann keine Schwäche zeigen.“ Doch viele sehen genau das auch als eine große Stärke von Doǧan Yavuz: Nach der Veröffentlichung seines Buches bekommt er zahlreiche positive Rückmeldungen, die Ehrlichkeit und Greifbarkeit seiner Emotionen machen dieses Buch zu etwas Besonderem. Die Leser*innen nehmen Anteil an Doǧans Leben, sie fühlen mit den Kindern, die ihre Mutter verlieren und bewundern den Mut eines Mannes, der mit Kraft und Liebe um seine Kinder kämpft. Im Buch „Der späte Start: Wie Veränderung mein Leben veränderte“ erleben die Leser*innen einen Mann, der offen mit seinen Ängsten und Bedürfnissen umgehen kann, der diese verbalisiert, ohne sich deswegen als „Schwächling“ zu empfinden.

Authentizität und Verletzbarkeit als Stärke

Doǧan Yavuz weiß, dass seine Authentizität ihm Stärke verleiht und hat keine Angst davor, sich verletzbar zu zeigen. „Ich habe mir helfen lassen, ich habe meine Verletzlichkeit zugegeben, das ist keine Schwäche. Es bedeutet Stärke, über sich selbst hinauszuwachsen“, sagt Doǧan über die schwerste Phase seines Lebens. Inzwischen lebt er mit seiner deutsch-türkisch-italienisch-kroatische Patchwork-Familie in Bad Kreuznach und ist Schriftsteller. In seinen Werken reflektiert er neben den Konflikten, denen er begegnete, auch die Ressourcen, die zu deren Lösung beitrugen. Sein Weg hat ihm viele Lösungen und Kompetenzen aufgezeigt, die er auch als Coach nutzt. Und auch ein nächstes Buch ist in Planung. Darin reflektiert er in Form von Interviews mit Gesprächspartner*innen aus verschiedenen gesellschaftlichen Milieus Faktoren, die zum Erfolg führen. Erscheinen wird sein Buch „Der Gedanke hinter dem Erfolg“ voraussichtlich im Mai.

Text: Ilgın Seren Evișen
Foto: Doǧan Yavuz