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Spitzentanz auf Kopfsteinpflaster. Ballerina Project Turkey

Ballett, so meint man, ist eine Kunstform, die auf knarzendem Holzfußboden stattfindet, bei der Scheinwerfer muskulöse Körper anstrahlen, Sport und Grazie stilisiert zur Perfektion gebracht werden und ein Publikum, in eine Duftwolke aus Parfüm und Prosecco gehüllt, gespannt den Atem anhält.
Doch was, wenn man diese Kunst auf die Straße bringt? Sagen wir, auf die Straßen Istanbuls?
Genau das tut Özgürol Öztürk mit seinem Fotoprojekt ballerinaproject_turkey”. Neu ist die Idee nicht. Ihren Ursprung hatte sie vor ungefähr 17 Jahren durch den Fotografen Dane Shitagi, der das “Ballerina Project” in New York initiierte. Inzwischen finden sich mehrere Plattformen, die in verschiedenen Ecken der Welt Ballett auf den Straßen festhalten. Özgürol begann das Fotoprojekt, das sich vor allem auf dem Instagram-Account wiederfindet, im März 2015.

MAVIBLAU: Özgürol, wie kam es zu „ballerinaproject_turkey”?

Özgürol: Ballett übt auf mich eine Faszination aus. Und so arbeitete ich schon vor zwei Jahren einmal an einem Projekt mit Ballerinas zusammen. Damals war das Konzept etwas anders und beinhaltete vor allem Videoarbeit. Als ich dann ein Projekt zu „Urbanem Raum und der menschlichen Existenz” erarbeitete, stolperte ich bei meiner Recherche über das „Ballerina Project” und dachte, es wäre eine großartige Idee, dieses Projekt auch in der Türkei zu initiieren und die Tänzer von der Bühne auf die Straße zu holen. So kam eins zum anderen und ich begann, Fotos für dieses Projekt zu machen. Und bis jetzt arbeite ich daran weiter.

MAVIBLAU: Wie suchst du die Ballerinas für dein Projekt aus?

Özgürol: Die ersten Ballerinas fand ich mit der Hilfe von Freunden. Diese empfahlen das Projekt dann ihren Freunden aus der Szene weiter und bald begannen Ballerinas aus der ganzen Türkei mir Nachrichten zu schicken und wir planten die Fotoshoots. Vor Kurzem wurde das Projekt in einigen türkischen Magazinen publiziert und momentan bekomme ich eine ganze Masse an E-Mails von Leuten, die teilnehmen wollen. An dieser Stelle möchte ich auch noch mal sagen: Alle Ballerinas über 18 sind herzlich eingeladen am Projekt teilzunehmen.

MAVIBLAU: Wie kann man sich so ein Fotoshooting vorstellen?

Özgürol: Jedes Shooting ist eine Zusammenarbeit zwischen der Ballerina und mir. Die meisten Entscheidungen treffen wir zusammen. Wenn möglich, treffe ich mich vor dem Fotoshoot mit ihr und wir besprechen das Konzept des Shoots, d.h. wie das Kostüm aussehen soll, wo der Shoot stattfinden wird und zu welcher Uhrzeit. Bei der Entwicklung von „ballerinaproject_turkey” habe ich eine Liste an Orten in Istanbul aufgestellt und diese zu verschiedenen Tageszeiten besucht. Die Tageszeit ist ein elementar wichtiger Faktor, da ich mit keiner zusätzlichen Beleuchtung arbeite.

Während des tatsächlichen Fotoshoots entscheiden die Ballerinas, wie sie sich in Relation zu dem Ort bewegen möchten. Ich gebe eigentlich nur selten Anweisungen, vielleicht eher einen Input in Bezug auf das Gefühl an diesem Ort, oder wir diskutieren die Beziehung von Ort und Bewegung und versuchen gemeinsam etwas Neues. Nachdem das Fotoshooting zu Ende ist, laden wir die Fotos auf einen Computer und suchen uns jene aus, die verwendet werden sollen.

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MAVIBLAU: Gibt es besondere Situationen, die ihr bei einem solchen Shooting erlebt habt?

Özgürol: Die Passanten sind generell überrascht, Ballett auf den Straßen zu sehen. Manche applaudieren, wenn wir das Fotoshooting beenden. Oft schauen uns die Leute auch verwundert oder seltsam an. Viele machen Fotos mit ihren Smartphones. Einmal, während eines Shootings im Grand Bazaar, schaute uns ein alter Teppichverkäufter beim Shooting zu. Nachdem wir es beendet hatten, kam er auf uns zu und erzählte uns, dass er in den 1970ern beim Ballett war. Das hat uns sehr berührt. Ein anderes Mal, bei einem sehr frühen Shooting in Ortaköy, kam ein Mann während des Shootings auf uns zu und fragte mich, ob ich Angst vor dem Tod habe. Er betonte, dass „solch ein Zeugs” nicht in der Nähe einer Moschee aufgenommen werden sollte. Ich antwortete: „Nicht ich sollte Angst vor dem Tod haben, sondern die Leute, die sündigen.” Nach einem langen, seltsamen Schweigen hat er sich dann abgewandt.

MAVIBLAU: Was möchtest du mit diesem Projekt erreichen?

Özgürol: Ich möchte, dass Leute inspiriert sind und sich freuen, wenn sie die Fotos anschauen. Das Projekt werde ich so lange fortführen, wie ich motiviert bin und zufrieden mit den Resultaten. Es gibt keine Deadline oder ähnliches – wieso sollte man sich eine Deadline setzen, wenn etwas Spaß macht? Ich möchte Ballerinas in unterschiedlichen Städten und Orten in der Türkei fotografieren. Im Herbst wird es eine Ausstellung geben und bis dahin möchte ich noch weitere Fotos machen.

MAVIBLAU: Und zum Schluss: Verrätst du uns, ob du ein persönliches Lieblingsfoto hast?

Özgürol: Von jedem Fotoshooting habe ich so meine Lieblingsfotos. Machmal sind das Bilder von sehr starken Momenten, manchmal einfach von sehr naiven und gefühlvollen Posen. Aber ich glaube mein absolutes Lieblingsfoto habe ich noch nicht geschossen.

MAVIBLAU: Vielen Dank und ganz viel Erfolg mit deinem Projekt, Özgürol!


Text: Marie Hartlieb
Bilder: Özgürol Öztürk
Titelbild: Meryem Şengül @ Ortaköy
Redaktion: Sabrina Raap