Wer Türkisch als Fremdsprache lernt, begegnet immer wieder ungewohnten und irritierenden sprachlichen Wendungen. Das mag manchmal etwas mühsam sein. Doch im genauen, sezierenden Blick auf die einzelnen Glieder des fremden Sprachkorpus öffnen sich nicht nur Zugänge zum Türkischen, sondern auch überraschende neue Perspektiven auf die eigene Sprache.
Auch wenn sich “yanlış bilmek” wortwörtlich leicht als “falsch wissen” übersetzen lässt, wird man einen gleichbedeutenden Ausdruck im Deutschen wohl vergeblich suchen. Zwar können wir immerhin Dinge falsch verstehen, das heißt, einen Sachverhalt falsch erfassen, uns in einer Interpretation irren. Unter der Kategorie des Irrtums, des objektiv zu unrecht für wahr gehaltenen Satzes, lässt sich auch der Begriff Scheinwissen einordnen. Und zur Bezeichnung des unzureichenden, lückenhaften Wissens bietet uns die deutsche Sprache schließlich die Redewendung des (gefährlichen) Halbwissens.
Diese deutschen Ausdrücke bezeichnen jedoch – selbst wenn sie das Wort Wissen enthalten – eindeutig dessen Gegenteil: Nichtwissen oder zumindest ein partielles Wissensdefizit. Etwas nicht wissen – das ließe sich im Türkischen indessen ganz einfach durch die Negation des Verbs wissen (bilmemek) ausdrücken. Der Fall yanlış bilmek ist jedoch ein wenig komplexer: Bei genauerem Hinsehen entpuppt er sich sogar als Oxymoron, als ein Begriff, der in sich widersprüchlich ist. Denn wodurch zeichnet sich Wissen aus, wenn nicht durch objektive Wahrheit? Etwas Falsches sollten wir dieser Definition zufolge allenfalls meinen (sanmak) oder glauben (inanmak), nicht aber wissen können.
Doch spätestens seit Sokrates, der immerhin wusste, dass er nichts wusste, herrschen unter den Philosophen erbitterte Grabenkämpfe um die Deutungshoheit darüber, was Wissen nun genau sei. Und da Sprache und deren alltäglicher Gebrauch seit jeher mit den uns geläufigen logischen Definitionen brechen, mussten wir nicht erst bis zur Ausrufung „postfaktischer Zeiten“ warten, um im Türkischen Irrtümer, von denen wir besonders fest überzeugt sind, „falsch wissen“ zu können.
Text: Paul Wolff
Bild: Fatima Spiecker