Galatasaray, Beşiktaş und Fenerbahçe: Drei große Fußballvereine gibt es in Istanbul. Doch im Herzen eines türkischen Fans gibt es nur einen Verein. Rot-Orange, Schwarz-Weiß oder Blau-Gelb. Nichts dazwischen. Die Rivalität der drei Teams ist legendär, die Derbys sind weltweit bekannt. Fast in jeder Saison kommt es zu Ausschreitungen zwischen den Fangruppierungen. Besonders spannend ist, dass die drei Vereine zugleich die stärksten der Türkei sind und die ersten Tabellenplätze meist unter sich ausspielen.
Eigentlich kann man sich seinen Fußballverein nicht aussuchen. Man wird als Fan geboren, heißt es. Mir wurde allerdings keine Vorliebe für einen der Istanbuler Vereine in die Wiege gelegt. Und so wird es, als ich im Februar mein Auslandssemester in Istanbul beginne, Zeit für mich zu entscheiden: Unterstütze ich die Löwen von Galatasaray, die Adler von Beşiktaş oder die Kanarienvögel von Fenerbahçe?
In Hannover hatte ich solche Probleme nicht. Da zählte nur 96. Aber Hannover ist jetzt weit weg und ein halbes Jahr ohne Club vor Ort ist schwierig. Ich überlege: Da ich im Stadtteil Galata wohne, bietet sich vielleicht Galatasaray an. Beşiktaş ist aber der sympathische Arbeiterverein und dort spielt Demba Ba, den ich noch aus der Bundesliga kenne. Dann schwärmt am ersten Tag an der Uni auch noch ein türkischer Student von Fenerbahçe und zeigt zum Beweis seiner Leidenschaft den linken Unterarm, auf dem ein Tattoo des Vereinsemblems prangt. Schwierig, einfach so eine Entscheidung zu treffen. Ich muss am besten in ein Stadion. Da bietet sich an, dass Beşiktaş zwei Wochen später in der Europa League gegen die „Reds“ aus Liverpool spielt. Mit anderen Erasmus-Studenten kann ich glücklicherweise noch günstige Tickets kaufen.
Donnerstagnachmittag machen wir uns auf den Weg. Da das eigentliche Beşiktaş-Stadion gerade umgebaut wird, müssen wir etwa neunzig Minuten durch das gesamte Stadtgebiet zum Atatürk Olimpiyat Stadı fahren. In den Metros ist kein freier Quadratmeter Platz. Und alle halten uns für Liverpool-Fans. Schnell zeigen wir unsere kurz vorher in Eminönü gekauften Beşiktaş-Trikots und grinsen. Das überzeugt.
Irgendwann kommen wir endlich im Stadion an. Dort warten schon über 60.000 Menschen. Alle stehen auf den weißen Sitzschalen. Eine Atmosphäre, wie sie noch keiner von uns zuvor erlebt hat. Wir gehen zu den Plätzen, die auf unseren Karten angegeben sind. Alle acht Plätze sind schon belegt. Türkische Fans stehen über uns auf den Sitzen und singen zur Einstimmung. Ich ticke einen von ihnen an. „Eh, pardon, bizim mi?“, frage ich mit gebrochenem Türkisch und zeige auf die Sitzreihe. Sind das nicht unsere Plätze? Er guckt mich verwirrt an. Dann zeigt er auf ein paar Plätze weiter rechts und weist mit einer weiten Armbewegung auf das ganze Stadion. Feste Sitzplätze? Absolut utopisch. Und auch absolut unnötig. Wir gehen zu den freien Plätzen und stellen uns hin. Keiner beschwert sich bei uns, weil wir am falschen Ort stehen.
Vor Spielbeginn sind laute türkische Fanlieder mit viel Bass aus den Lautsprechern zu hören. Auch während des Spiels gibt es keine ruhige Minute im Stadion. Wechselgesänge, Massenhüpfen, Schalwedeln. Wir singen in einer Fantasiesprache mit. „Vaila, vaila, vaila, vaila, va, oooh, Beşiktaş“ wechselt sich mit „Lana, Beşiktaşem, oleee“ und anderen ab. Nachdem Arslan die Führung für Beşiktaş geschossen hat, geht es in die Verlängerung. Wir verbrauchen den ganzen Vorrat an Sonnenblumenkernen. Weiter geht es ins Elfmeterschießen. Mehr Spannung geht nicht. Alle Elfmeter werden verwandelt. Dann verschießt Lovren von Liverpool. Beşiktaş ist weiter. Noch im selben Moment dröhnt „Sex On The Beach“ aus den Boxen. Wir springen, wedeln mit den Schals, umarmen Fremde und singen „Sex, Sex, Sex On The Beach“. Über uns scheint der Halbmond. Die Vereinsfrage ist geklärt.
Text: Laurenz Schreiner