Ein kurzes Briefing zum Thema Prominenz und graue Eminenz islamischer Geschichte. Oder auch: Wie wird man eigentlich spiritueller Führer einer Glaubensrichtung, was hat Pierre Vogel gegen Pluralismus und gehen Sunniten und Schiiten zusammen in die Moschee?
Intro: 632n.Chr.: Der Tod Muhammads
Nach dem Tod des Propheten 632 n. Chr. stand die Umma (muslimische Gemeinde) vor dem Problem, dass sowohl die Stelle des Staatsoberhauptes der Stadt Medina, als auch die des Propheten frei geworden waren. Weder testamentarisch noch verschriftlicht im heiligen Koran/Gotteswort war eine ausdrückliche Nachfolge festgelegt. In Medina einigte man sich zwar schnell darauf, dass potentielle Amtsanwärter lediglich nach dem Prinzip der Genealogie ausgewählt werden dürfen, das heißt aus dem Abstammungsbüchlein des Propheten, demnach vom Stamme der Qurais.
Dennoch stand die Gemeinschaft der Muslime nun vor einem politischen und religiösen Problem, eigentlich sollen alle Muslime Gott, dem Propheten und jedweder religiösen Autorität brav gehorchen – was zunächst unter Abu Bakr, der als einer der treusten Gefährten Muhammads bekannt war, auch einigermaßen funktionierte. Dieser trat nach dem Tohuwabohu 632 nämlich als erster Kalif (von halifa= Nachfolger) sein Amt an. Nach dessen Ableben wurde es jedoch immer schwieriger, den Posten zu besetzen. Mittlerweile waren sämtliche Zeitgenossen und treue Gefährten, die in Frage kamen, unter anderem Uthman und Ali, kurzerhand liquidiert worden.
Simurgh: Vogel aus der islamischen Mythologie
Von Helden und Kalifen
Da letzterer jedoch Cousin und Schwiegersohn des Propheten (verheiratet mit dessen Tochter Fatima) und somit prominent war, ging der Stress (auf Arabisch fitna = Bürgerkrieg) richtig los: So sprach sich die Mehrheit, die späteren Sunniten (abgeleitet von: Volk der Tradition = ahl as-sunna), dafür aus, den fähigsten Genossen und Heerführer zum Nachfolger zu ernennen.
Die sich nun absondernden Schiiten waren jedoch der Meinung, dass Ali von Anfang an von Muhammad als rechtmäßiger Nachfolger auserwählt worden sei, und demzufolge seien jetzt dessen Söhne Hassan und Hussain an der Reihe. Daraus wurde leider auch nichts, da der Kalif von Damaskus sich ebenfalls für die attraktive Position des religiösen und politischen Oberhaupts interessierte. Um kein Risiko einzugehen, hatte man die beiden vor möglichem Amtsbeginn lieber gleich aus dem Weg geräumt. Durch ihren blutigen Tod wurden sie zu Märtyrern für die Minderheit, die sich heute Schiiten nennen. Der Tod Hussains und der Streit um das rechtmäßige Erbe markieren den Beginn der schiitischen Bewegung bzw. die Abspaltung (= Schisma) der Schiiten von den Sunniten. Sunniten sehen sich selbst primär als Anhänger von Gemeinschaft und Brauch (Sunna = Brauch). Die Schiiten hingegen gehen davon aus, dass Ali bereits vor dem Tod des Propheten als Nachfolger bestimmt worden sei.
Um jetzt auf Pierre Vogel zurückzukommen: Der Vorzeigekonvertit und streng sunnitische Prediger spricht in breitem Kölner Akzent den Schiiten ihr Existenzrecht aufgrund mangelnder Beweislage im Koran ab. Was daran ein Problem ist? Pierre steht mit dieser Aussage nicht alleine da, vielmehr spricht er damit für viele Sunniten. Die interne Spaltung der Umma betrachten viele als kontraproduktiv und nicht rechtens. Bei dem Streit der Konfessionen geht es nicht nur um historisch begründbare Legitimität, sondern irgendwie auch um Verrat: Unbrauchbar für eine Weltreligion, sagt Vogel. Des Weiteren wird den Schiiten immer wieder vorgehalten, dass es keinerlei Beweis im Koran für ihre Interpretation der Events in Medina gäbe.
Minority Report: Die Schiiten (shiat ali=der Parteigänger Alis)
Zülfikar: Schwert als Symbol mit besonderer Referenz zu Ali
Mittlerweile wird der schiitische Teil der muslimischen Bevölkerung auf 15% geschätzt, in vielen Ländern werden sie als Minderheit verfolgt. Die zahlenmäßig größte Schia-interne Gruppe ist die 12er Schia (Imamiten), welche, ab dem rechtmäßigen Nachfolger Ali gezählt, genau 12 Imame anerkennt. Der letzte offizielle der Schiiten ist Muhammad al-Mahdi, der seit seiner Kindheit im Verborgenen lebt und auch noch auf der Erde unterwegs sein soll. Daher ist zu hoffen, dass er eines Tages zurückkommt und für Ordnung sorgt, sich dann eventuell auch den latenten Konflikten zwischen Sunniten und Schiiten annehmen könnte.
Beim Clinch um die Thronfolge wurde noch eine andere Stimme laut: Die Haragiten (haraga = herausgehen), die Genealogie als Legitimation komplett ablehnten und eine Rule-of-quality Auffassung vertraten. Dementsprechend ist der beste Muslim der rechtmäßige Kalif.
Interessanterweise existierte aber die Hauptströmung der Sunniten auch erst so wirklich seit dem Ärger mit den Haragiten und Schiiten, also um das Jahr 800, als diese beschlossen, ihre eigenen Wege zu gehen.
Was nun folgte, kann man retrospektiv nicht unbedingt als von Freundschaft geprägte Beziehung bezeichnen.
Von rechts nach links: kalligraphisch für Allah, Muhammad und Ali
Rise and Fall: Heute leider kein Imperium
In der Zwischenzeit hatten die Schiiten trotz Unterdrückung einige Durchbrüche: Da wäre z.B. die Herrscherdynastie der Fatimiden im früheren Ägypten (909 und 1171, Namensgebung nach Muhammads Tochter und Alis Ehefrau Fatima). Da konnte auch schon mal ein Gegenkalifat in Richtung Baghdad bzw. Sunniten ausgerufen werden. So richtig durchgestartet wurde dann aber erst unter der Dynastie der Safawiden im heutigen Iran (1501 bis 1722). In dieser Zeit konnte sogar der Großteil der ansässigen Muslime zur Schia bekehrt werden, daher ist der Schiismus heute auch noch Staatsreligion. Den zahlenmäßig größten Anteil schiitischer Bevölkerung außerhalb des Irans erreichen heute Irak, Bahrain, Libanon, der indische Subkontinent und Saudi Arabien (in letzterem werden sie jedoch als Verkörperung iranischer Identität und somit als Staatsfeind Nr.1 verfolgt).
Vielleicht sollte an dieser Stelle noch erwähnt werden, dass die Konfession in der praktischen Auslebung des Glaubens keine Relevanz hat.
Text & Illustration: Fatima Spiecker
Redaktion: Tuğba Yalçınkaya
Titelbild: Maximiliane Wittek