HipHop, ein Musikstil, der sich in den 70er Jahren in den Ghettos von New York zu einer bekannten Jugendkultur entwickelte. Auch in Deutschland ist er mitsamt seiner Sub-Genres, wie Rap, Breakdance, Graffiti und Beatboxing, angekommen und fester Bestandteil der Musikszene geworden: Rapper kapern die großen Hallen und Festivalbühnen, in den Clubs laufen die Hits der Szene in Dauerschleife und zahlreiche Nummer-Eins-Alben erobern den Markt. Wie aber kam HipHop nach Deutschland?
Die Suche nach den Anfängen des HipHop in Deutschland führt zu der Gruppe Fresh Familee – einer der ersten deutschen HipHop-Gruppen, die sich 1988 in der bei Düsseldorf gelegenen Trabantenstadt Ratingen-West gründete. Die Gruppe bestand aus Jugendlichen türkischer, marokkanischer, mazedonischer, spanischer und deutscher Herkunft. Tahir Çevik, zu dem Zeitpunkt bekannt als “Tachi”, begeisterte sich schon im Alter von 13 Jahren für HipHop-Musik. Gemeinsam mit anderen Jugendlichen in der Nachbarschaft gründete er im örtlichen Jugendclub die Gruppe Fresh Familee. Ihr Song “Ahmet Gündüz”, der 1991 rauskam, wird als erste deutschsprachige relevante HipHop-Produktion bezeichnet, die auf Vinyl („Coming from Ratinga“) gepresst wurde. Es handelt sich also um nichts geringeres als den ersten deutschsprachigen Rap-Song!
“Mein Name ist Ahmet Gündüz. Lass mich erzählen euch!
Du musst schon gut zuhören ich kann nicht sehr viel deutsch!
Ich komm von die Türkei, zwei Jahre her
und ich viel gefreut, doch Leben hier ist schwer.
In Arbeit Chef mir sagen, Kanacke hey wie gehts?
Ich sage ‚Hastirlan‘, doch Arschloch nichts verstehn.”
Was die Bronx mit Ratingen-West zu tun hat
Der damals 21-jährige Tahir rappt in den ersten Zeilen das Klischee des türkischen Gastarbeiters Ahmet Gündüz, um auf den Rassismus aufmerksam zu machen, dem er und die Generation seiner Eltern in Deutschland Anfang der 90er täglich begegneten. Dass letztlich ein junger Türke aus einem, wie man so schön sagt, sozialen Brennpunkt den Startschuss für deutschsprachigen Rap gibt, ist weniger überraschend, als es auf den ersten Blick scheint. Als in den 80er Jahren HipHop aus den USA über den Atlantik schwappte, entdeckten vor allem in Deutschland lebende türkische Jugendliche die Kultur als Ausdrucksform für sich. Als ausgegrenzte Minderheit identifizierten sie sich besonders mit den afroamerikanischen Jugendlichen in der Bronx, die sich mit ihrer neuen, sehr politischen Kunstform im und außerhalb des Brennpunkts Gehör verschafften.
Auch wenn man die Bronx und Ratingen-West schwer vergleichen kann, lassen sich Parallelen finden: Tahir Çevik fand im HipHop den Ausweg aus dem Sumpf von Gewalt, Drogen und Perspektivlosigkeit, der ihn im sozialen Brennpunkt Ratingen-West zu verschlucken drohte. In der Trabantenstadt, in der viele Migrant*innen unterschiedlicher Herkunft eng beisammen wohnten, haben sich Tahir und seine Crew auch mit Graffiti und Breakdance kreativ entfaltet. Sie begannen Kreativität aus ihrem Umfeld zu schöpfen und fingen im Jugendalter an zu rappen. So wie ihre afroamerikanischen Vorbilder aus New York.
Rappen für Sozialkritik
Die Fresh Familee hat sich zu Tahirs zweiter Familie entwickelt, in der er mit seinen „Brüdern“ und „Schwestern“ sozialkritische Texte schrieb und gemeinsam Musik machte. Durch die Musik sollte der Ausbruch aus dem grauen Beton-Block gelingen – und sei es nur für Konzerte und Auftritte. Die Raps waren entweder komplett auf Deutsch oder multilingual. „Es ist der Sinn und Zweck beim HipHop verstanden zu werden“, erzählt Tahir 1991 in einem Interview, „Deswegen rappen wir auf Deutsch oder ich rappe auf meiner Heimatsprache Türkisch, weil es in Deutschland sehr viele Leute gibt, die Türkisch verstehen und sprechen.“ Verstanden werden war das Hauptaugenmerk der Fresh Familee. In ihrer Musik ging es darum, gemeinsam auf Missstände aufmerksam zu machen. Die Jugendlichen thematisierten in ihren Texten Fremdenhass, Drogen, Gewalt und Kriminalität – Themen, mit denen sie in Ratingen-West täglich konfrontiert waren.
Fresh Familee gewann 1990 den Düsseldorfer Nachwuchspreis, bekam einen Plattenvertrag und tourte mit ihrem ersten Album Coming From Ratinga durch ganz Deutschland. Die Fortsetzung „Ahmet Gündüz II“ ist thematisch und stilistisch seinem Vorgänger sehr ähnlich und auf einem Sample von Sezen Aksus Lied Belalım aufgebaut. Die Gruppe aus Ratingen-West, die sich 1998 auflöste, wird in historischen Abrissen deutscher HipHop-Kultur zwar häufig vergessen, trotzdem gilt die Rap-Gruppe bis heute als Wegbereiter für eine bunte und äußerst vielseitige deutsche HipHop-Szene, in der Rapper wie Eko Fresh und Chefket auch heute noch immer wieder ihre Verbindung zur Türkei thematisieren.
Text: Benedikt Strickmann
Album-Cover: discogs