Wenn sie malt, vergisst sie alles um sich herum. Gibt sich den Farben und Motiven in ihrem Kopf hin. Um Istanbul auf Leinwand einzufangen, benutzt sie starke, pulsierende Töne. “Orange, das ist für mich die Farbe Istanbuls: Die Hitze und Energie, die diese Stadt ausstrahlt.” Und diese Energie Istanbuls, die Gewaltigkeit, die Unordnung, und vielleicht auch die Nicht-Greifbarkeit der Stadt, die kann man in Sonja Grasmugs Bildern wiederfinden.
Sonja Grasmug stellte am 8. Mai 2015 in der Suriye Pasaji aus.Die Räumlichkeiten des SUPA Suriye Pasaji Salon, die hohen Wände, das knarzende Parkett und die Fenster zum Bosporus gaben Sonjas Bildern den richtigen Platz.
Es war ein besonderer Abend. Denn Sonja Grasmug feierte auch ihren Abschied aus der Stadt, die ihr sieben Jahre lang Inspiration war und ihr die Möglichkeit gab, sich vollen Herzens der Malerei hinzugeben.
Als junge Frau kam Sonja das erste Mal nach Istanbul. Ihr Mann hatte eine Stelle als Lehrer an der österreichischen Schule angenommen. Ein paar Jahre lang erkundete das junge Paar, das bald Zuwachs bekam, die Stadt und ihre Strömungen. Nachdem die Kinder dann aus dem Haus waren, machten sich die beiden 2008 noch einmal von Graz auf nach Istanbul, um erneut inspiriert zu werden und den eigenen Horizont zu erweitern. “Man sollte nie aufhören zu lernen, etwas Neues zu entdecken und sich dem Unbekannten zu öffen”, sagt Sonja. Nach diesem Prinzip lebt sie auch. Sie war Friseurin, Bewährungshelferin, in der Politik aktiv, gab Seminare zur Arbeitsgestaltung, war Religionslehrerin und irgendwo immer auch Malerin. Allerdings nennt sie sich im Bezug auf die Malerei eine Spätzünderin. Vor ungefähr fünfzehn Jahren, begann sie, einige Kurse und Seminare zu belegen. Sie lernte Acryl- und Mischtechniken kennen, die ihrer lebendigen und impulsiven Art zu malen ensprachen. Und sie probierte sich an Farben und Formen aus, bis ihre Bilder für sie selbst stimmig wurden, bis sie ihren eigenen Stil gefunden hatte.
Als Sonja Grasmug dann ein zweites Mal in Istanbul war, die Energie der Stadt in sich spürte, mit den Menschenmassen auf der Istiklal flanierte und über die jahrhundertealten Gebäude von Galata blickte, da kamen die Motive auf sie zugeströmt. Und zwar so intensiv, dass sie nachts mit Bildern im Kopf aufwachte, die auf Leinwand gebracht werden wollten. Die Stadt drängte sich ihr auf: Die Gegensätze von Morbidität und geballter Energie, von Neuem und Verfall. Und Sonja war überrascht und inspiriert davon, wie diese Gegensätze nebeneinander bestehen konnten. Sie bargen eine Schönheit in sich, die sie aus dem, so sagt sie, perfekten und stirilen Europa her nicht kannte. Und diese Schönheit inspirierte sie, der Malerei intensiv nachzugehen. “Das hätte ich auch nicht gedacht, dass ich mich in diese Richtung mal so stark ausleben würde. Aber das hat tatsächlich Istanbul mit mir gemacht”, sagt Sonja.
Sonja Grasmug malte so intensiv, dass es bald keinen Platz an den Wänden der eigenen Wohnung mehr gab. So kam es quasi zwangsläufig zu ersten Ausstellungen. “Ich male, was mich berührt und stecke meine Gefühle in diese Bilder. Deshalb sind sie etwas sehr Persönliches. Und anfangs war es schwer, dies mit anderen zu teilen”, beschreibt sie ihre ersten Schritte in die Öffentlichkeit. Doch das Interesse anderer war groß und inzwischen freut sich Sonja, wenn sie mit ihren Bildern anderen etwas Schönes auf den Weg geben kann.
Auch am achten Mai sind viele Menschen gekommen, um Sonja Grasmugs Werke zu sehen. Mit der Ausstellung, unterstützt von dem Kultur- und Wohltätigkeitsverein: Die Brücke e.V. , dem österreichischen Kulturinstitut und der österreichischen Schule, nimmt sie nun Abschied von Istanbul. Sonja wird viele Menschen zurücklassen, die sie hier in ihr Herz geschlossen hat. Aber auch eine Stadt, in der sie inspiriert wurde und die Malerei intensiv für sich entdecken konnte.
Ihre Bilder, die in allen Facetten die Silouette dieser Metropole beschreiben, wirken da schon fast wie eine Hommage an Istanbul.
Fotografie: Charlotte Schmitz